Das Stundengebet bei den Trappisten (9/14) – Die Prim

(Ausschnitte aus: Bernardin Schellenberger „Gott suchen-sich selbst finden. Erfahrungen mit der Regel Benedikts“. Kapitel: Das Stundengebet)

Um sechs rief mich dann das erste Läuten zur Prim wieder ins Haus und in die Kirche. Die Prim war die erste der so genannten Kleinen Horen, die nur jeweils ungefähr eine Viertelstunde dauerten, also kurze Takte im Tagesverlauf setzten. Sie war auf 6.15 Uhr angesetzt, hatte allerdings ein längeres Anhängsel. Diese Tagzeit setzte den Schlusspunkt unter den langen meditativen Teil des Morgens. Jetzt war es hell: die Sonne stand bereits am Himmel – iam lucis orto sidere, wie der Hymnus ausdrücklich feststellte, und zwar schon leicht südöstlich, so dass sich der Lichteinfall in der Kirche ein wenig verschoben hatte; er war zarter geworden. Der Hymnus sprach unverzüglich von den Arbeiten des Tages, den diurnis actibus, von der Möglichkeit, die Zunge nicht genügend zu zähmen, vom horror des Streitens und der Zwietracht und von anderen Ausrutschern: vom normalen Alltag also. Unser Herz möge im Innersten lauter bleiben, sint pura cordis intima, hieß es weiter, und unser Blick möge keine unnützen Bilder trinken, ne vanitates hauriat – wozu eigentlich in unserem völlig plakat- und werbungsfreien Lebensraum mit nur kahlen Wänden, ohne Zeitung, Rundfunk und Fernsehen kaum Gelegenheit bestand; aber der Standard war damals eben sehr hoch.

Nach den kurzen drei Psalmen, der Lesung und den Schlussgebeten der Prim, in denen ausdrücklich Gottes Segen über die Arbeiten und Sorgen des Tages angerufen wurde, zogen wir vom Chor in den Kapitelsaal. Wir setzten uns alle und einer sang vor einem in der Mitte stehenden Pult aus dem „Martyrologium“ vor, welcher Märtyrer und Heiliger an diesem Tag gedacht wurde. Das waren meistens ein Dutzend Namen mit jeweils einigen Sätzen über das Leben und Wirken der Betreffenden. So wurden wir täglich an die alle Jahrhunderte durchziehende Kette der Glaubenden vor uns angehängt. Der Vorsänger endete immer mit einer festen Schlussformel, die besagte, auch anderswo und zu anderen Zeiten habe es noch unzählige nicht genannte und nicht bekannte Heilige gegeben.

Nach einem weiteren Gebet folgte der Akt, von dem der Kapitelsaal seinen Namen hat: Es wurde ein Kapitel aus der Regel des heiligen Benedikt vorgelesen. Eventuell fügte der Abt daran einige Erläuterungen oder aktuelle Kommentare an.

(B. Schellenberger. Das Stundengebet)

Siehe: Buchvorstellung

Beachte:
– Das Stundengebet bei den Trappisten (1/14) – Siebenmal und in der Nacht.
– Das Stundengebet bei den Trappisten (2/14) – Nacht+Aufstehen+Auferstehen.
– Das Stundengebet bei den Trappisten (3/14) – Ein Tagesplan.
– Das Stundengebet bei den Trappisten (4/14) – Mitten in der Nacht ist der Anfang des Tages
– Das Stundengebet bei den Trappisten (5/14) – Die Vigilien, das Nachtoffizium (a)
– Das Stundengebet bei den Trappisten (6/14) – Die Vigilien, das Nachtoffizium (b)
– Das Stundengebet bei den Trappisten (7/14) – Laudes
– Das Stundengebet bei den Trappisten (8/14) – Die Morgenzeit

 

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