Die Autorenschaft von marianischen Antiphonen ist besonders schwer festzustellen, weil das Mittelalter die Kategorie Autorenschaft nicht kennt. Wir haben im 21. Jh. immer noch unsere Probleme damit: Was ist schon geistiges „Eigentum“? Und wenn es geistlich ist, ist der Begriff Eigentum ganz verfehlt. Kann man die göttlich gegebene Inspiration juristisch festmachen?
Die zwei berühmten musikalischen Dichtungen, die Bernhard von Clairvaux zugeschrieben werden, sind das Jesus dulcis memoria (O liebster Jesu denk ich dein) und den Jubelzusatz zur Antiphon Salve Regina: o clemens, o pia, o dulcis virgo Maria! Beide Zuschreibungen sind (nach dem Urheberrecht zu schlussfolgern) unwahrscheinlich, doch die Überlieferungen sind für sich genommen wertvoll und vielsagend.
Die Legende vom Salve Regina meint zu wissen, dass als Bernhard zu Weihnachten 1146 in seiner Funktion als Legat im Dom zu Speyer den Kreuzzug predigte, er während des Singens des Salve Regina in Entzückung geriet. Er brach in Jubelrufen an Maria aus. Nach o clemens! sprang er 30 Fuß im Schiff in Richtung Altarraum, nach o dulcis! wieder, usw. Diese Stellen wurden im Dom mit drei Rosenzeichnungen im Fußboden gekennzeichnet.
Andere Überlieferungen, dass er sich alle 30 Fuß niederkniete, wären mindestens im Kontext der cisterciensischen Ritualgeschichte leichter einzuordnen, denn die benediktinische Professliturgie sieht vor, dass der Mönch sich dabei in drei langen Wegabschnitten dem Abt nähert, und bei jeder der drei Etappen den Ruf Suscipe me …! wiederholt. Dabei kam es in lokalen Abweichungen zu verschiedenen Körperhaltungen. Die Tradition kennt eine stehende mit entspannten Armen, eine mit den Armen in Kreuzesform ausgebreitet und eine kniende. Die Speyerer Legende zum Salve Regina könnte eine Verballhornung der monastischen Jubelrufe aus der Professliturgie sein.
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