
Ein Stückchen Kreuz
Hl. Rafael Arnáiz Barón notiert am 28. März 1938, am Montag nach dem 4. Fastensonntag:
Heute habe ich den Herrn in der hl. Kommunion um ein Stückchen Seines Kreuzes gebeten … Ich bat Ihn, Ihm helfen zu dürfen in Seinem Todeskampf; ich bat Ihn, mich teilnehmen zu lassen an Seinem Leiden; ich bat Ihn um ein Stückchen … (klein muß es sein, denn ich bin schwach) Seines heiligsten Kreuzes.
Jesus erhörte mich. Ich spürte das Kreuz auf meinen Schultern. Es lastete auf mir, und ich weinte über meine Verlassenheit und meine Einsamkeit … Nach dem Frühstück trug ich meine kleine Last durch den Flur der Krankenabteilung. Eine tiefe Traurigkeit ergriff Besitz von mir. Ich fühlte mich so krank, so allein, so schwach, um das zu ertragen, was Jesus mir auferlegt, daß ich mich – müde von allem und allen – hinsetzte und über meine Mühsal und meinen Schmerz weinte. Groß erschien mir die Verlassenheit, in der ich mich in materieller und geistlicher Hinsicht sah.
Ich habe niemanden, bei dem ich Erleichterung finden könnte. Manchmal ist das ein sehr großer Trost, manchmal aber auch ein ganz tiefer Schmerz, besonders, wenn wir krank sind. Das geschieht in Augenblicken, in denen ein von Herzen kommendes Wort so viel Leid erträglicher macht und sogar Kraft gibt, die Schwächen und das Elend der Krankheit zu ertragen. Aber das fehlt mir. Gepriesen sei Gott!
Sehr schmerzlich ist es, körperlich Mangel zu erleiden, wenn noch die Not des Geistes und anderes hinzukommt, und wenn Gott sich verbirgt und einen allein läßt mit dem Kreuz… Was wundert’s, wenn die Seele dann leidet und weint?
Heute morgen dachte ich in jenen Augenblicken nicht mehr an das, worum ich Ihn in der Kommunion gebeten hatte ..: um das Stückchen Seines Kreuzes. – Wenn der Krankenwärter wüßte, wie groß mein Hunger ist! Er kennt meine Krankheit nicht, noch versteht er sie; er weiß auch nicht, wie sehr er mich leiden läßt.
Gott läßt es zu; Er hat es so gefügt. Ich beklage mich nicht und preise die Hand des Pflegers, die für mich die Hand Gottes ist. Hunger in Einsamkeit und Schweigen! … Manchmal meine ich, ich könne es nicht länger ertragen, aber Gott hilft mir, und ich habe das Gefühl, daß alles bald ein Ende haben wird. Einerseits wünsche ich es herbei, andererseits ist es mir einerlei; ich möchte nur den Willen Gottes erfüllen.
Schon ist der Tag vergangen und mit ihm … Jetzt habe ich Frieden; ich bete Gott an und preise Ihn, der diese Stückchen Seines Kreuzes, die Er mir schickt, wann Er will, im Himmel aufbewahrt. Wie groß ist Seine Barmherzigkeit zu mir! Wenn ich in der Trapa nicht zu leiden hätte, wozu würde mein Leben dienen?!
Wenn du so großes Verlangen nach Buße hast,
warum weinst du dann?
Meine Tränen, Herr, sind keine Tränen der Widerspenstigkeit…
Meine Tränen, Herr, ich möchte sie für nichts tauschen …
Nimm sie also an, denn
mit irgend etwas muß ich mich dankbar erweisen!
Auch Du littest Hunger, Durst und Blöße.
Auch Du weintest, als Du Dich verlassen sahst.
Herr, wie glücklich bin ich, daß ich leide!
Ich tausche mit niemandem …
Aber – wie lange noch, Herr? [vgl. Ps 6,4]
(Aus: Nur Gast auf Erden 603f)
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