Punkt 5: Abtötungen, die in unseren Beziehungen zum Nächsten zu praktizieren sind.
1. ) Ertragen Sie die Unzulänglichkeiten Ihres Nächsten, Mangel an Bildung, an Geist, an Charakter. Ertragen Sie alles, was Ihnen an ihm mißfällt, die Gangart, die Haltung, den Klang seiner Stimme, den Tonfall, und was weiß ich noch alles.
2. ) Ertragen Sie ihn in seiner Gesamtheit, ertragen Sie ihn bis zum Schluß und in christlicher Gesinnung. Niemals jene hochmütige Unduldsamkeit, die uns sagen läßt: ,Was habe ich mit dem oder jenem zu schaffen?‘, ,Was geht mich das an, was er sagt?‘, ,Wozu brauche ich die Zuneigung, das Wohlwollen oder auch die Höflichkeit irgendeiner Person und dieser hier im besonderen?‘. Nichts entspricht Gott weniger, als dieses hochmütige Zurückstoßen und diese verächtliche Gleichgültigkeit: da wäre gewiß eine einfache Ungeduld noch besser.
3. ) Befinden Sie sich in der Versuchung, wütend zu werden?
Um der Liebe Jesu willen: seien Sie sanftmütig.
Wollen Sie sich an jemandem rächen?
Vergelten Sie Böses mit Gutem;
man sagt, daß das große Geheimnis, das Herz der heiligen Theresia zu rühren,
darin bestand, ihr etwas Böses anzutun.
Wollen Sie gegenüber einem anderen eine grimmige Miene machen?
Lächeln Sie ihm voll Güte zu.
Wollen Sie ihm aus dem Wege gehen?
Suchen Sie ihn, aus Tugend.
Wollen Sie schlecht über ihn sprechen?
Sagen Sie Gutes über ihn.
Wollen Sie in strengem Ton mit ihm reden?
Reden Sie sehr sanftmütig und herzlich mit ihm.
4. ) Lieben Sie es, Ihren Mitbrüdern ein Lob auszusprechen, vor allem jenen, die Sie von Natur aus am meisten beneiden.
5. ) Machen Sie keine dummen Witze auf Kosten der Nächstenliebe.
6. ) Wenn man sich in Ihrer Gegenwart wenig anständige Reden erlaubt oder Unterhaltungen pflegt, die ihrer Art nach dem Ruf des Nächsten schaden, so können Sie zuweilen in aller Sanftmut den Sprecher tadeln; aber meistens wird es besser sein, die Unterhaltung geschickt in eine andere Richtung zu lenken oder mittels einer Geste des Mißfallens oder der gewollten Unaufmerksamkeit zu bekunden, daß das, was vorgebracht wurde, Ihnen mißfällt.
7. ) Wenn es Sie viel Uberwindung kostet, einen kleinen Dienst zu tun, dann erbieten Sie sich freiwillig, ihn zu tun: so erwerben Sie ein doppeltes Verdienst.
8. ) Empfinden Sie Abscheu davor, sich gegenüber sich selbst und gegenüber den anderen als Opfer hinzustellen. Weit davon entfernt, Ihre Lasten zu überschätzen, bemühen Sie sich, sie leicht zu finden. Sie sind es auch tatsächlich, und viel öfter als Ihnen scheint; und sie wären es immer, wenn Sie tugendhafter wären.
(Wird fortgesetzt)
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