Nach dem liturgischen Kalender von 1962, dem wir bei tu domine folgen, ist heute der Festtag des heiligen Ephrem der Syrer. Er starb als Einsiedler und Diakon 373 in Edessa (Urfa, südliche Türkei).
„Meine Kinder sind hingeschlachtet und meine Töchter, die außerhalb meiner Befestigung sind; ihre Mauern niedergerissen, ihre Kinder zerstreut, zertreten ihre Heiligtümer.“
Dies ist der Beginn von Ephrems berühmten „Carmen Nisibenum“. Darin beschreibt er das Leiden der Vertriebenen, der Mütter, die ihre Kinder nicht mehr stillen können, und zahlreicher Menschen, die elendig verhungern und verdursten.
„Die Besonderheit seiner Arbeit liegt darin, dass sich in ihr Theologie und Dichtung begegnen. […] Die Dichtung gestattet ihm, die theologische Reflexion durch Paradoxa und Bilder zu vertiefen. Gleichzeitig wird seine Theologie Liturgie, sie wird Musik: Er war in der Tat ein großer Komponist, ein Musiker. Theologie, Reflexion über den Glauben, Dichtung, Gesang, Lob Gottes gehen zusammen; und gerade in diesem liturgischen Charakter tritt in der Theologie Ephrems mit aller Klarheit die göttliche Wahrheit zutage.“ (Benedikt XVI. , 28. November 2007)
FAZnet widmete diesem Werk des Kirchenlehrers in einer Ausgabe des Jahres 2016 einige Aufmerksamkeit. Aus aktuellem Anlass, bezieht sie sich auf die aus Syrien kommenden Flüchtlinge. Doch wir verstehen Ephrems Aussagen darüber hinaus und erkennen seine prophetischen Schauungen in die heutigen und kommenden Zeiten:
Das Elend einer belagerten Stadt tritt vor Augen, dahinvegetierende Kinder und Erwachsene, Not und Sterben überall. Ephraim erspart dem Leser keinen Schrecken: Es herrscht Hunger und bei der Gluthitze sogar Durst, obwohl die Stadt an einem Fluss liegt. Faulende Leichen bedecken den Boden, der ihren Eiter aufsaugt. Mit solch verstörenden, drastischen Bildern schildert Ephraim das Geschehen wohl in Hanzit, einer Festung unweit seiner Heimatstadt Nisibis. Diese wiederum lag nahe der Grenze zwischen Römischem und Persischem Reich, in einer Landschaft zwischen Euphrat und Tigris, die immer neu von brutalen Kämpfen heimgesucht wurde. Nisibis mit seinen starken Mauern hatte mehreren Belagerungen getrotzt, noch furchtbarer als der Stadt erging es ihrer schlecht geschützten Umgebung.
Ephraim, der selbst keusch lebte, bekundet seine Nähe zu den Opfern, indem er sie als Verwandte anspricht, gar als seine Kinder; gerade Töchter – hier sind wohl zerstörte Bollwerke gemeint – standen in seiner Welt für Schutzbedürftigkeit. Die natürliche Ordnung hat sich verkehrt […]
FAZnet notiert Ephraim der Syrer „Carmen Nisibenum 10“,
der wie ein Psalm klingt:
Meine Kinder sind hingeschlachtet und meine Töchter,
die außerhalb meiner Befestigung sind;
ihre Mauern niedergerissen, ihre Kinder zerstreut,
zertreten ihre Heiligtümer.Refrain: Gepriesen sei deine Züchtigung!
Die Jäger haben von meinen Bollwerken meine Tauben gefangen,
die ihre Nester verlassen hatten und in Höhlen geflohen waren.
Mit einem Netz fingen sie sie!Wie Wachs von dem Feuer schmilzt, so zerschmolzen
und vergingen die Leiber meiner Söhne
vor Hitze und Durst in den Befestigungen.
Anstatt der Quellen und der Milch,
die für meine Söhne und Kinder flossen,
fehlt nun die Milch den Kleinen und das Wasser den Entwöhnten.In Todeszuckungen fiel das Kind von der Mutter,
denn es konnte nicht mehr saugen,
und sie vermochte es nicht mehr zu stillen;
sie beide gaben den Geist auf und starben.Wie konnte deine Güte ihren eigenen Brunnen Zügel anlegen,
da doch der Überfluss ihrer Quellen nicht gehemmt werden kann?Und wie hat da deine Güte ihr Mitleid verschlossen
und ihre Quelle dem Volk vorenthalten,
das danach schrie, seine Zunge zu benetzen?Und ein Abgrund hatte sich aufgetan zwischen ihnen und ihren Brüdern,
wie bei dem Reichen, der schrie, und keiner war,
der ihn erhörte und seine Zunge benetzte.Und gleichsam mitten ins Feuer waren die Unglücklichen geworfen,
und Gluthitze hauchte das Feuer inmitten der Dürstenden aus,
und in ihnen loderte es.Es zerschmolzen ihre Leiber und wurden von der Hitze aufgelöst;
es tränkten die Verdursteten ihrerseits
die Erde mit dem Eiter ihrer Körper.Und die Festung, die ihre Bewohner durch den Durst ermordet hatte,
trank nun wieder den Ausfluss der Leichname derer,
die vor Durst dahingeschwunden waren.Wer sah je ein Volk, von Durst gequält,
während es eine Mauer von Wasser umgibt,
und es doch nicht seine Zunge benetzen kann?Mit dem Urteil von Sodom wurden auch meine Lieben gerichtet,
und meine Kinder wurden heimgesucht mit der qualvollen Strafe Sodoms.
Die aber dauerte nur einen Tag.Die Qual des Feuertodes, Herr,
währt nur eine Stunde, aber das lange Verschmachten bedeutet
einen langsamen Tod und eine ausgesuchte Qual.Nach meinen Schmerzen und bitteren Leiden, Herr,
– soll das ein Trost sein, der andere, den du mir gabst,
dass du meine Unglückseligkeit vermehrt hast?Die Medizin, die ich erwartete:
der wirkliche Schmerz, der Verband,
nach dem ich ausschaute:
eine bittre Wunde. Das wollen sie mir antun.Und als ich erwartet hatte, dem Sturm zu entrinnen,
wurde mir der Sturm im Hafengefährlicher
als der im offenen Meer.Und wenn ich gehofft hatte in meiner Beschränktheit,
dass ich mich aus der Grube herausgearbeitet hätte,
da warfen mich meine Sünden wieder mitten hinein.Sieh, Herr, meine Glieder!
Schwerter dichtgedrängt in mir
– sie haben meine Arme gezeichnet -,
und die entstellenden Wunden der Pfeile,
eingesät in meine Seiten.Tränen in meinen Augen, Kunde in meinen Ohren,
Weherufe in meinem Munde, Trübsal in meinem Herzen
– kein neues Leid mehr für mich, o Herr!Quelle: FAZnet
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