Das also ist es, Du Quell der Liebe …

Sieh, o Herr, hier sind die Wunden meiner Seele.
Dein lebendiges und kraftvolles Auge, das bis zur Scheidung von Seele und Geist dringt,
sieht alles.
So siehst Du mein Herr, ganz gewiss in meiner Seele
die Spuren meiner früheren Sünden und die Gefahren der Gegenwärtigen,
Du siehst aber auch die Ursachen und Quellen für künftige Sünden.
Das siehst Du, Herr,
und ich will auch, dass Du es siehst.
Du weißt nämlich, Du Erforscher meines Herzens,
dass es in meiner Seele nichts gibt, was ich vor Deinen Augen verbergen möchte, selbst wenn ich mich ihrem Blick entziehen könnte.
Wehe jenen, deren Wille es ist, sich vor Dir zu verbergen! Was sie nämlich erreichen, ist nicht, von Dir nicht gesehen zu werden, sondern eher, von Dir nicht geheilt, sondern bestraft zu werden. Sieh mich, mein geliebter Herr, sieh mich!
Ich hoffe nämlich, Du Barmherzigster,
dass Du in Deiner Liebe auf mich blicken wirst als der gewissenhafte Arzt, um mich zu heilen, oder als der gütigste Lehrer, um mich zurechtzuweisen, oder als der nachsichtigste Vater, um mir zu verzeihen.

Das also ist es, Du Quell der Liebe,
worum ich im Vertrauen auf Deine allmächtigste Barmherzigkeit und Deine barmherzigste Allmacht bitte:
dass Du in der Kraft Deines wunderbaren Namens und des Geheimnisses Deiner heiligen Menschheit
mir meine Sünden vergibst
und die Krankheiten meiner Seele heilst.
Gedenke Deiner Güte, nicht meiner Undankbarkeit!

Und gegen die Laster und schlimmen Leidenschaften, die noch immer meine Seele bedrängen – sei es auf Grund meiner alten schlechten Gewohnheit, sei es durch meine täglichen und zahllosen Nachlässigkeiten, durch die Schwäche meiner verderbten und lasterhaften Natur oder durch die versteckte Versuchung böser Geister – , möge mir deine liebreiche Gnade Kraft und Stärke verleihen, dass ich nicht zustimme, dass sie nicht in meinem sterblichen Leib herrschen, dass ich ihnen nicht meine Glieder als Waffen der Ungerechtigkeit zur Verfügung stelle, bis Du schließlich ganz meine Krankheiten heilst, meine Wunden gesund pflegst und meine Entstellung wieder gerade machst.

Dein guter und liebevoller Geist senke sich herab in mein Herz und bereite sich darin eine Wohnung;
er reinige es von jeder Befleckung des Fleisches und Geistes und gieße ihm Glaube, Hoffnung und Liebe
sowie den Geist der Reue, der Sanftmut und Menschenliebe ein.
Er lösche mit dem Tau seines Segens die Glut der Begierden
und töte mit seiner Kraft die Regungen der Begierde und die Leidenschaften des Fleisches.
Bei meinen Mühen, beim Wachen, bei der Enthaltsamkeit
schenke er mir die rechte Glut, Dich zu lieben und zu loben,
zu beten und zu meditieren und jedes Handeln und Denken,
meine ganze Andacht und Tätigkeit nach Dir auszurichten;
und in alldem verleihe er mir
Beharrlichkeit bis ans Ende meines Lebens.

Aelred von Rievaulx, Hirtengebet

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Früchte des letzten Konzils: Aggiornamento und Abschaffen

Anlässlich der Berichterstattung zum fünfzigsten Jahrestag der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils in der TAGESPOST verfasste Pater Rodrigo Kahl OP einen Leserbrief, der in der Ausgabe vom 15.11.2012 veröffentlicht wurde. Es ist notwendig Zeitzeugen immer wieder zu Wort kommen zu lassen um zu verstehen, was seit dem letzten Konzil geschehen ist und wie es geschehen ist. Mit Erlaubnis des Autors darf sein Leserbrief an dieser Stelle nochmals erscheinen. Vielen Dank!

Aggiornamento Wurde zum „vergifteten“ Begriff

Er wurde als Leitmotiv des Zweiten Vatikanums gehandelt, aber es war von Anfang an ein vergiftetes Wort. Papst Johannes selbst führte es ein, offenbar mit guten Absichten.

Aber die Rezeptionsgeschichte des Begriffs war fatal. Der Papst selbst erschrak darüber und sagte schon nach einem Jahr: Was man jetzt will, ist „ein Aggiornamento, das nur das Leben versüßen oder der Natur schmeicheln will“.

Aber es war bereits zu spät.

Das vergiftete Wort hatte schon Metastasen in den Köpfen der Vielen gebildet:

Glaube und Kirche müssen „modernisiert“ werden, sind der heutigen Welt anzupassen.

Was kann dem „heutigen“ Menschen zugemutet werden oder nicht? Das „Heute“ wurde zum Maßstab und die „moderne“ Welt zur Richterin dessen erhoben, was im katholischen Bereich noch gelten durfte.

Wer nicht bereit war, das mitzumachen, wurde aufgefordert, „umzudenken“ und sich zu „wandeln“.

Ein besonders pikantes Beispiel ist der Stuttgarter Katholikentag 1964, schon fast in der Endphase des Konzils. „Wandelt euch durch ein, neues Denken“ rief das Leitmotiv den Katholiken zu. In der damals herrschenden Stimmung hieß das: Was ihr bisher angenommen und geglaubt habt, gilt nicht mehr. Neue Werte gibt es nun. Wir stehen in einem „Aufbruch“.

Die Welt muss von uns ernstgenommen werden. – Das Pauluswort in dem Leitmotiv wurde regelrecht auf den Kopf gestellt, denn die erste Hälfte des Verses lautet: „Gleicht euch dieser Welt nicht an, sondern wandelt euch …“ Aber diese ersten Worte waren natürlich nicht Teil des Leitworts. Ja, die Umwertung aller Werte! Katholik, „du musst alles vergessen, was du einst besessen!“ Schmunzelnd wandten so Kleriker einen Schlager der 1960er Jahre auf die kirchliche Situation an.

In Klöstern hatte das so verstandene Aggiornamento ganz besonders krasse Auswirkungen. Bis dahin war in der kirchlichen, aber besonders in der klösterlichen Spiritualität vor der Verweltlichung gewarnt worden. Jetzt wurde sie zum Programm. Auf einmal gab es viele Dinge, „die man nicht mehr konnte“. Sie entsprachen nicht der modernen Welt. Wieviel „Unmodernes“ gab es doch in den Klöstern, von der Kleidung, dem Stillschweigen, dem frühen Aufstehen, dem fehlenden Fernseher, dem lateinischen Chorgebet bis in viele Einzelheiten hinein. „Abschaffen“ Leitmotiv in den Klöstern.

Die neue Spiritualität predigte die Verweltlichung als „Chance“. Vieles passte einfach nicht mehr in die Welt von heute, das Unmodische bei den Katholiken: die Beichte, das Latein, dann Gebote, die mir vorschreiben, was ich am Sonntag zu tun oder was ich am Freitag zu unterlassen habe. Weg damit!

Sich auf die Welt „einlassen“: das war nun das neue Leitwort. Dieses Sich-Anlehnen-Können kam anscheinend vielen Klerikern entgegen: „Nachdem wir nicht erreichten, dass die Welt das praktiziert, was, wir lehren, beschließen wir zu lehren, was sie praktiziert“ (das bekannte Wort von Gomez Davila abgewandelt).

Auf dem Bamberger Katholikentag 1966 (es war der erste nach dem Konzil) zeigte sich noch einmal der alte Katholizismus. Man sehe sich im Netz mal die Bilder an mit den nicht zu zählenden Scharen von Ordensschwestern, alle noch im „klassischen“ Ordenskleid!

Dann begann der Katholizismus aus dem Straßenbild zu verschwinden.

Das Programm in den Köpfen fing an zu wirken: wir wollen wie die Welt sein, also wollen wir auch aussehen wie alle Welt.

Es kam zum Rückzug der katholischen Kirche in die Sakristei. In den romanischen Ländern wurde dies noch krasser empfunden, weil dort nicht nur die Ordensleute, sondern jeder Priester immer die Soutane zu getragen hatte.

Fast ein Wunder ist es, dass der Zölibat in einer solchen Atmosphäre sich halten konnte. Aber er ist ein Fremdkörper. Das ist nicht zu verwundern. Wenn alles im Lebensstil und im Kopf (!) auf Angleichung an säkulare Normen hinausläuft, wirkt die priesterliche Ehelosigkeit unpassend, fremd, verfehlt, eben als ein Fremdkörper. Deshalb die nicht enden wollende Diskussion. Wenn die andere, wirklich katholische Spiritualität weiterhin verweigert wird, wird der Zölibat auch fallen. – Dass aber eine große Zahl der jüngeren Priester sich auf das besinnt, was Benedikt XVI. „Entweltlichung“ nennt, ist ein hoffnungsvolles Zeichen.

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Hoffnungen auf den nächsten Papst?

In meinem Pamphlet „Come la Chiesa finì“ („Wie die Kirche endete“) stelle ich mir vor, daß nach einem Franziskus I. ein Franziskus II. kommen wird und dann ein Franziskus III. und so weiter, eine ganze Weile lang. Die klerikale Heuchelei kann grenzenlos sein (möglicherweise werden genau jene, die ihn hassen, imstande sein, Bergoglios Seligsprechung zu fordern), und der Neo-Modernismus besetzt alle Mäander der Institution.
Die Kirche wurde im Fernsehen liquidiert, und der Papst beging live in einer abendlichen Talkshow Selbstmord, um dem Volk zu gefallen. Das ist nur richtig so. Richtig, daß es das Fernsehen war, das ihr Ende im Namen der Einschaltquoten verordnete. Es konnte gar nicht anders sein. Nachdem sich die Kirche an die Welt verkauft hatte, konnte es kein anderes Ende geben, denn das Fernsehen ist Ausdruck und Synthese des Denkens der Welt.
Nur der liebe Gott kann kommen, wann und wie Er will, und die Tafel „The End“ entfernen, um ein neues Drehbuch zu schreiben. Oder ist Er vielleicht schon dabei, es zu schreiben?

Aldo Maria Valli

Die leere Hölle und das Ende der Kirche

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Die blinde Nonne Chiara Antonella

Im Kloster von Città della Pieve in Umbrien lebt eine Frau, deren Lebensgeschichte eine Symphonie aus Glaube, Widerstandskraft und Musik ist. Schwester Chiara Antonella, 57 Jahre alt und von Geburt an blind, hat das, was viele als Einschränkung ansehen würden, in eine Quelle der Inspiration und Hingabe verwandelt.

Geboren ohne Augenlicht in Bergamo, wurde Schwester Chiaras Reise in Dunkelheit durch die frühe Entdeckung der Musik erhellt. „Irgendwann habe ich eines der Lieder gespielt, die mir meine Mutter immer vorgesungen hat“, erinnert sie sich. Das war der Beginn einer lebenslangen Liebe zu Melodien und Harmonien, die sie 1987 zum Abschluss des Konservatoriums in Bergamo führte.

Im Kloster verwendet sie inzwischen ein eigenes Programm zum Komponieren auf dem Rechner.

„Am Anfang habe ich meinen Schwestern die Noten diktiert, aber ich konnte sie nicht überprüfen. Es ist nicht einfach, die Noten zu diktieren, aber jetzt kann ich die Partituren für meine Schwestern schreiben. Das Schreiben dieser Kompositionen macht mir Spaß“, erzählt sie.

„Einmal habe ich fast zum Spaß versucht, eine Hymne aufzuschreiben, und es hat mir Spaß gemacht. Ich habe auch eine Messe für eine Veranstaltung geschrieben. Und dann wieder mehrere Gesänge, zum Beispiel für den Namenstag der Äbtissin. Ich mag das… es ist meine Art, mein Inneres auszudrücken und das, was ich fühle und lebe. Ich habe aber nicht Komposition studiert; die Noten kommen aus meinem Herzen.“

Für die Ordensfrau dreht sich jedoch nicht alles um Musik. Ihre Lebensgeschichte ist vielmehr eine Geschichte über einen tiefen, suchenden Glauben nach Gott.

„Die Gegenwart des Herrn war immer beständig“, sagt sie in einer Betrachtung über die Entstehung ihrer Berufung. Eine Begegnung mit den Klarissen in Perugia im Jahr 1985 brachte sie auf den Weg des klösterlichen Lebens, wo sie ein tiefes Gefühl der Erfüllung und des Sinns fand.

Ihre Tage sind nun eine Mischung aus Gebet und Musik. Schwester Chiara komponiert Partituren für die Feiern im Kloster und verwendet dazu ein spezielles Programm, mit dem sie Musik transkribieren kann. „Die Noten kommen aus meinem Herzen“, sagt sie und ihre Stimme ist voller Leidenschaft.

Schwester Chiara schildert einen typischen Tag im Kloster: „Wir wachen jeden Tag um 5:15 Uhr auf oder sonntags um 5:45 Uhr. Dann haben wir sofort gemeinsam Laudes, immer gemeinsam, dann 30 Minuten Betrachtung. Dann haben wir um 7 Uhr die Lesehore. Dann haben wir um 8 Uhr heilige Messe, frühstücken und bis 12 Uhr mittags wird geputzt, aufgeräumt, jeder hat seine eigenen Aufgaben, manche sind in der Küche, manche im Krankenzimmer… Dann haben wir die Sext, die sechste Stunde [des liturgischen Stundengebets]. Danach essen wir gemeinsam zu Mittag. Es gibt eine freie Zeit, die jeder für seine persönlichen Dinge nutzen kann. Dann haben wir eine Zeit der strengen Stille. Bis 15:00 Uhr kommt die Non, die neunte Stunde [des Stundengebets]. Dann haben wir bis 17:30 Uhr klösterliche und andere Aktivitäten wie bestimmte Treffen, Begegnungen mit der eigenen Familie usw. Es gibt auch eine Persönliche Lesezeit, bis 18:00 Uhr. Und dann Vesper, dann Betrachtung. Um 19:30 Uhr gibt es Abendessen und gemeinsame Freizeit, wir tauschen uns aus. Um 21 Uhr gibt es die Komplet, das letzte Gebet.“

Das wohlgeordnete Leben mit Blindheit in einem Kloster stellt besondere Herausforderungen dar, aber Schwester Chiara geht sie mit Humor und Anmut an. „Für einen blinden Menschen kann die Abgeschiedenheit das Leben erleichtern“, erklärt sie. Sie glaubt, dass ihre Behinderung ein „zusätzliches Getriebe“ ist, das ihr und ihren Mitschwestern hilft, sich gegenseitig besser zu verstehen und zu unterstützen.

Das geschichtsträchtige und traditionsreiche Kloster Città della Pieve ist im Laufe der Jahrhunderte gewachsen und hat sich weiterentwickelt. Heute ist es ein Zeugnis für den beständigen Geist seiner Bewohnerinnen und Bewohner, von den Tagen der heiligen Klara bis zur Gegenwart.

Quelle CNA

Das folgende Foto zeigt den Konvent der Klarissen von Città della Pieve im Jahr 2021. Die Aufnahme entstand anlässlich des 106. Geburtstags von Schwester Giuseppa (im Rollstuhl). Sr. Giuseppa Zanette trat in den 1930er Jahren ins Kloster ein und lebte zum Zeitpunkt dieser Fotoaufnahme bereits seit über 80 Jahre als Klarisse.

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Die traditionelle Liturgie und die Zukunft des Glaubens – (6/6)

(Ausschnitte aus Prof. Dr. Andreas Wollbold –
Die klassische römische Liturgie
und die Zukunft der Kirche)

6. Bislang war ein Großteil der Diözesanpriester, die mit der Zelebration nach dem alten Meßbuch begonnen haben, außerhalb oder am Rande der Pfarrseelsorge angesiedelt: Kapläne, Ruheständler, Kategorialseelsorger oder Professoren.

Großartig wäre es, wenn jetzt auch viele PFARRER die alte Messe entdeckten. Realistisch dürfte es sein, daß sie in einem ersten Schritt die Zelebration erlernen und zunächst nur einfach privat zelebrieren, z.B. am freien Tag, vielleicht mit der Anwesenheit einiger interessierter Gläubiger.

Erst wenn der Ritus für sie selbst durch und durch bedeutsam geworden ist, dürfte der Zeitpunkt gekommen sein, ihn auch öffentlich zu feiern. Das mag mit einem festen Werktag beginnen. Der Monatsanfang mit dem Priesterdonnerstag (Votivmesse von Jesus Christus, dem Hohenpriester), Herz-Jesu-Freitag oder Herz-Mariä-Sühnesamstag bietet sich besonders an, zumal das stets gleiche Formular es auch z.B. für den Choralgesang einfacher macht. Auf jeden Fall braucht es zunächst das geduldige eigene Vertrautwerden mit dem Ritus, seinen Rubriken und seinem Geist. Andernfalls Wird der Ritus innerhalb einer Pfarrei allzu leicht zu einer pastoralen Aktion. Bei entstehenden Widerständen oder eintretenden Enttäuschungen werden dann bald auch wieder die Segel gestrichen. Oder – was noch fataler wäre – man manipuliert am Ritus herum in der Absicht, damit die Gläubigen besser erreichen zu können.

7. Eine schlichte Frage zum Schluß:

Womit hätten wir bei Gott
das Aufblühen der alten Liturgie überhaupt VERDIENT?

Die Frage nach dem Verdienst ist katholisch hochlöblich und erst durch den Protestantismus in Mißkredit geraten. Allein das Gebet und das Opfer sind nach der heiligen Therese von Lisieux der archimedische Hebel, der die Welt aus den Angeln heben kann. Wir können nicht ernsthaft meinen, die Krise des Glaubens und der Kirche mit Aktionen zu beheben. Nur dort, wo großherzig geopfert wird, wo treu die Werke der Barmherzigkeit geübt werden, wo das Kreuz tapfer getragen wird, wo Sühne kein Fremdwort bleibt, wo vor allem Priester sich am Maximum und nicht am Minimum orientieren, also kurz wo die „Früchte der Umkehr“ (vgl. Lk 3,8) erbracht werden, da mag es sein, daß sich Gott unser erbarmt. Frühere Jahrhunderte haben oft Unvorstellbares getragen, ja gelitten um Christi willen, von den großen Ordensgründern bis hin zu den unbekannten kleinen Seelen.

Wie sollte eine Wende auch nur möglich sein, wenn von links bis rechts in der Kirche der erstaunliche
Konsens herrscht: Es darf nur nicht zu viel kosten!

Beim Tod Kardinal Newmans rief Kardinal Manning aus:
„We have lost our greatest witness of faith.
Wir haben unseren größten Glaubenszeugen verloren.“

Der Selige wurde nicht durch seine Geistesgaben und auch nicht durch seine vielen Bücher und Artikel zum größten Glaubenszeugen, sondern dadurch, daß er getreu und unter großen Opfern und von Verleumdungen verfolgt den Weg ging, den die Gnade ihm zeigte: hin zur Tradition, hin zur ganzen Tradition, hin zu dem, was immer und überall die Kirche getragen hat und wofür allein Rom der Garant ist. Wie er können wir bekennen:

Diese Tradition rettet, und sie ist die Zukunft der Kirche.

(aus: Dominus vobiscum Nr. 3, 2011)

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Die traditionelle Liturgie und die Zukunft des Glaubens – (5/6)

(Ausschnitte aus Prof. Dr. Andreas Wollbold –
Die klassische römische Liturgie
und die Zukunft der Kirche)

3. Initiative der Vielen auf vielen Ebenen.

Der heilige Robert Bellarmin weist im Geleitwort zu seinen Kontroversen darauf hin, „daß es der Sache der Kirche nicht nur nicht schadet, sondern auch nützt, wenn in dieser Zeit sehr viele [für die gute Sache] schreiben.“

Ja, nach dem heiligen Augustinus gelte, daß „alle, die nur immer mit der Fähigkeit zu schreiben begabt sind, schreiben sollten, nicht nur über dieselben Dinge, sondern auch dasselbe – wohl mit anderen Worten. Es ist nämlich nützlich, damit die Irrlehrer zur Einsicht gelangen, daß es im Lager der Katholischen nicht nur den einen oder anderen gibt, sondern daß es viele sind, die es wagen, ihnen die Stirn zu bieten.“

Weithin herrscht in der Kirche der Eindruck vor, die Freunde der alten Liturgie seien ein versprengter Haufen, Dinosaurier, die es eigentlich ja gar nicht mehr gibt. Umso wichtiger ist es, in Sachen alte Liturgie immer wieder „Hier!“ zu rufen und öffentlich zu bekennen: „Ich bin auch einer von seinen Jüngern!“

Ganz besonders darf man sich von Professoren, Journalisten und Menschen des Geistes und der Feder unüberhörbare Bekenntnisse und Begründungen dafür wünschen, daß diese Liturgie die Zukunft der Kirche prägen wird. Gerade junge Menschen wollen dort mitwirken, wo sie etwas am Wachsen sehen, nicht wo es nicht mehr weit bis zur Grabesruhe ist.

Freilich noch ein Hinweis zu den Wortmeldungen. Das traditionsverbundene Milieu in Deutschland zeichnet sich m.E. durch eine ausgesprochene Lust am Negativen aus. Man kann die Entdeckerfreude regelrecht mit Händen greifen, mit denen wieder einmal eine unmögliche Faschingsmesse entdeckt oder eine ZdK-Verlautbarung zerpflückt wird. Wie berechtigt manche Kritik ist, steht außer Frage.

Aber schon der heilige Thomas von Aquin lehrt, daß der Zorn vom Positiven lebt, von der Bejahung des Wahren, Guten und Schönen. „Was kümmert es die deutsche Eiche, wenn das Schwein sich an ihr kratzt?“, dieses etwas deftige Wort drückt genau das Gemeinte aus. Manche unserer Veröffentlichungen, manches Gespräch unter traditionsverbundenen Priestern und Laien wirkt dagegen eher wie ein Horrorbuch mit endlos vielen Kapiteln, eines garstiger als das andere, und man fragt sich, welche eigen artige Lust sie dazu treibt, immer wieder die Mißstände in den Blick zu nehmen. Wie auch immer, die Lust am Negativen ist die beste Medizin dafür, auf Dauer marginal zu bleiben.

4. Wie wirkt die faktische Feier nach dem alten Meßbuch auf einen Außenstehenden, auf jemanden, der nicht zum coetus gehört? Fremd, gewiß, so sagten wir, aber ist es faszinierend fremd oder abweisend fremd?

Häufig erscheint sie wie das Tun Eingeweihter: Alle wissen Bescheid, wissen, wann sie stehen oder knien, haben die Bändchen an den richtigen Stellen im Schott eingelegt und können sich gar nicht mehr vorstellen, wie das ist, wenn man zum ersten Mal dabei ist. Eine solche Feier aber ist höchstschwellig, d.h. es kostet einen Neuling sehr viel an Überwindung, daran teilzunehmen. Dieser Eindruck mag nicht selten durch die Umstände bedingt sein: Welche Kirchen, welche Zeiten und welche Bedingungen werden unseren Gottesdiensten oft zugemutet!

Dennoch, wir haben oft noch keine Kultur des accueil, also von Empfang und Willkommen entwickelt. Verwandtschaft und Bekanntschaft sind auch heute noch die besten missionarischen Brücken. Wie lassen sie sich besser bevölkern? Vor allem erwecken wir nicht selten den Eindruck, das Ideal der alten Liturgie sei die Gemeinschaftsmesse: Jeder Gläubige weiß genau, was er wann zu tun hat, so als wären alle Ministranten. Da kann sich ein Neuling nur fremd, ja wie ausgeschlossen vorkommen. Aber das ist kein Ideal, sondern ein Grenzfall. Denn je wichtiger Gemeinschaft wird, desto leichter gibt es auch Ausgeschlossene.

5. Alte Liturgie ist nicht nur Messfeier. Insbesondere das officium divinum bildet das würdige Pendant dazu. Vor allem die Vesper am Sonntag war vielerorts bis vor wenigen Jahrzehnten fest im liturgischen Leben der Pfarreien verwurzelt. Sie läßt sich wiederbeleben nicht zuletzt auch dort, wo eine Meßfeier bis her noch auf zu viel Widerstand gestoßen ist.

(aus: Dominus vobiscum Nr. 3, 2011)

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Die traditionelle Liturgie und die Zukunft des Glaubens – (4/6)

(Ausschnitte aus Prof. Dr. Andreas Wollbold –
Die klassische römische Liturgie
und die Zukunft der Kirche)

Was ist zu tun?

Wer die Entwicklung der klassischen römischen Liturgie nach dem Motuproprio „Summorum pontificum“ verfolgt hat, wird die letzten dreieinhalb Jahre in zwei deutlich unterschiedene Phasen einteilen: zunächst eine deutliche Zunahme von Meßorten und Teilnehmerzahlen, dann aber auch eine gewisse Stagnation auf etwas höherem, aber immer noch recht bescheidenem Niveau.

Dazu kommt, daß die Probleme fast überall die gleichen geblieben sind wie zuvor. Die Akzeptanz, allein auch nur das Verständnis für die alte Liturgie ist nicht wirklich gewachsen. Nun sind die Freunde der alten Liturgie gewohnt, „dicke Bretter zu bohren“ (Max Weber). Was ist also zu tun? An sieben Stellen könnte der Bohrer angesetzt werden.

1. Heiliger Eifer

Wenn es noch eines Indizes bedurfte, so haben die vergangenen Monate bloßgelegt, wie tief die Kirchenkrise geht. Es handelt sich letztlich um eine Glaubenskrise. Sie hat beinahe die Gesamtheit der Gläubigen, ja auch der Hirten, erfaßt.

Geradezu mit chirurgischer Präzision hat bereits vor 400 Jahren der heilige Robert Bellarmin bloßgelegt, worin sie immer ihre Ursache hat: Nicht in intellektuellen Problemen, sondern in der Vernachlässigung eines Lebens, das dem Glauben entspricht.

Dies verdichtet sich noch einmal in der Nachlässigkeit gegenüber Liturgie und Sakramenten: „Bruder, willst du den Glauben an die Sakramente nicht verlieren?

Dann ehre die Sakramente, gebrauche die Sakramente, komm‘ häufig und von ganzem Herzen zur Beichte und empfange die heiligen Geheimnisse! Willst du den Glauben an das Fasten […] nicht verlieren? Dann liebe das Fasten […]! Wenn nicht, wäre es dann verwunderlich, wenn Gott dich im Glauben Schiffbruch erleiden ließe?“

Ist es nicht so – so der gelehrte Prediger weiter -, daß unsere Taten die Worte entleeren? Wir behaupten, die Eucharistie sei die Quelle der Gnade und alles Guten, aber dabei sind die Altäre vielerorts verstaubt und voll Spinnweben, Kelchwäsche und Kelche geradezu abstoßend schmutzig, und die Priester zelebrieren so rasch, unfromm und kalt,
„daß sie allen offensichtlich zurufen, sie glauben weder an Christus noch an die Gegenwart der Engel. […]
Wenn das so ist, dann wundert euch nicht, wenn das Reich Gottes euch genommen und anderen gegeben wird, die in jüngster Zeit im Osten und im Westen und in der Neuen Welt zum Glauben gekommen sind!
Denn Gott geht so mit uns um und spricht:
Ihr verachtet die Beichte? Dann nehme ich euch das Sakrament der Buße weg!
Ihr verachtet die Eucharistie? Dann nehme ich sie euch weg!
Ihr verachtet die Priester? Dann nehme ich euch die Priester weg!
Denn ihr verhaltet euch so, als ob all das nichts wäre, und ich lasse es zu, daß dann Leute kommen, die auch ausdrücklich behaupten, dies sei nichts. Und sie werden euch zu eurem Verderben und eurem Untergang davon überzeugen! Ich will das geringe Licht, das ihr in euch habt, auch noch auslöschen und es dulden, daß die Finsternisse euch ergreifen.“

In einer solchen Krise genügt es nicht, recht zu haben. Wie bei Newman geht es nicht nur darum, welche der kirchlichen Parteien sich durchsetzt und die Macht erringt. Nein, Nachlässigkeit wird nur durch Eifer überwunden.

Eifer aber ist im Kern der Eifer in der eigenen Heiligung. Bei aller Ehrfurcht vor den heiligen Riten, ein gesetzt sind sie ganz nüchtern als „instrumenta salutis“, als Heilswerkzeuge, und darum nützen sie nur demjenigen recht, der mit ihrer Hilfe auch Fortschritte macht. Wenn also unsere Feier der traditionellen Liturgie nicht zuerst und vor allem dem Fortschritt in Glauben, Hoffnung und Liebe dient, dann fehlt ihr das Herz.

Wird der Herr der Geschichte sie uns dann nicht auch wieder wegnehmen? Martin Mosebach ist nachdrücklich zuzustimmen, wenn er sagt: „Und alles Große in der Kirchengeschichte ist entstanden wegen solcher Menschen, die sich überhaupt nicht gekümmert haben um die Zukunft der Kirche, sondern darum, Christen zu sein, jetzt.“

2. Seelsorge

Wir brauchen die Verbindung der Liturgie mit der Seelsorge. Aus Meßorten müssen Seelsorgeorte werden. Wir haben eben von der prophetischen Kraft der alten Liturgie gesprochen, davon, daß sie den Zustand des Glaubens bloßlegt. D.h. aber auch, daß die heilige Messe die vollständige Katechese voraussetzt.

Aus diesem Grund wurden im christlichen Altertum die Katechumenen vor der Opferung aus dem Kirchenraum weggeführt. Erst wenn die Vorbereitung sakramental abgeschlossen war, waren sie überhaupt fähig, am Meßopfer teilzunehmen. Man sieht das etwa an dem lateinischen Vortrag auch der Epistel und des Evangeliums. Manche meinen: „Wenigstens das könnte doch auch stets nur muttersprachlich vorgetragen werden, dann verstehen es die Gläubigen doch sofort.“ Nein, in Katechese und Seelsorge haben sie das Wort Gottes bereits gehört und gläubig in sich aufgenommen.

Das Kennenlernen haben sie bereits hinter sich. Nun gilt es, mit dem Erkannten auch zu wirken. In der heiligen Messe können sie somit mit dem eigenen Glauben unterstreichen, daß dieses Wort Gottes feierlich vorgetragen wird als Licht der Welt und als Waffe gegen die Mächte der Finsternis – darum ja die Lesung des Evangeliums in Richtung finsterer Norden, wo niemals die Sonne scheint. Die heilige Messe ist also vor- aussetzungsvoll, und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dazu ist die Seelsorge da. Ja, diese Meß-Vorbereitung und Seelenführung ist heute nicht weniger nötig, sondern eher noch viel mehr als im christlichen Altertum:

– Nur wer in Glaube und Moral vorbereitet ist, kann fruchtbar am Meßopfer teilnehmen. Wo z.B. eine klare moralische Führung insbesondere junger, am Ritus interessierter Menschen fehlt, kommt es hier und da zu geradezu spektakulären Fällen der Doppelmoral, die ein Freund mit dem Bonmot quittierte: „Die Liturgie von Trient und die Moral des Dritten Vatikanums!“ Der Verlust der engen Verbindung von Beichte und Messe darf nicht nur immer wieder lautstark beklagt werden, sondern das Bußsakrament muß an unseren Orten mehr und mehr zur Selbstverständlichkeit werden – auch unter den jüngeren Freunden der alten Liturgie!

– Die Zusammensetzung und Motivation der traditionsverbundenen Gläubigen und Priester ist recht unterschiedlich. Unter jüngeren Menschen ist ein erstaunliches Interesse zu verzeichnen, auch unter Theologiestudenten gleich welchen Berufsziels. Überdurchschnittlich stark finden sich Interessierte unter Akademikern. Dennoch sind sie alle auch auf Seelsorge, also insbesondere Verkündigung und Seelenführung, angewiesen, damit sie in und mit der Kirche ein angemessenes christliches Leben führen können. Viele von ihnen finden in ihren Pfarreien häufig nicht die Seelsorge, die sie suchen und brauchen. Nicht wenige setzen an deren Stelle eigene Netzwerke oder schaffen sich private Räume des Glaubens; das ist oft geradezu heroisch, aber es kann doch nicht den Normalfall kirchlichen Lebens darstellen.

– Überhaupt erschöpft sich kirchliches Leben nicht im Gottesdienst. Man kann nicht die Sakramente eben einmal „mitnehmen“ und dann wieder „abtauchen“. Das ist schon bei Taufe, Erstkommunion oder Firmung in vielen Pfarreien ein Unding, es ist aber nicht weniger ein Unding bei den Zuständen unserer Meßorte, wie sie dort gezwungenermaßen oft herrschen: Der Priester fliegt ein, räumt rasch das Notwendigste im Altarraum um, dann geht es los, und nach dem Ende verabschiedet man sich nur noch rasch bis zum nächsten Mal.

Leider kann bisher an nicht wenigen Meßorten keine ausreichende Seelsorge stattfinden. Die Gläubigen kommen zur heiligen Messe wie zu einem Angebot und gehen danach wieder nach Hause. Nur ein Kern schon lange verbundener Gläubiger nimmt auch z.B. an Vorträgen teil. Vielleicht werden auf Anfrage andere Sakramenten feiern wie eine Taufe vermittelt. Zudem erscheinen die verschiedenen Gruppierungen und Gemeinschaften der Freunde der alten Liturgie recht versprengt; gemeinsames, effizienzorientiertes Handeln ist die Ausnahme. […]

(aus: Dominus vobiscum Nr. 3, 2011)

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Die traditionelle Liturgie und die Zukunft des Glaubens – (3/6)

(Ausschnitte aus Prof. Dr. Andreas Wollbold –
Die klassische römische Liturgie
und die Zukunft der Kirche)

Rettende Elemente der alten Liturgie

Lassen sich nun noch einige konkrete Elemente der alten Liturgie finden, die nur sie zur Zukunft des Glaubens beitragen kann? Es gibt viele, aber an dieser Stelle seien drei der wichtigsten genannt: die Freiheit der Gläubigen und die Bindung des Klerus, die prophetische Kraft und die Schule der Demut.

1. DIE FREIHEIT DER GLÄUBIGEN UND DIE BINDUNG DES KLERUS

Die klassische Liturgie ist nicht klerikal, sondern das Gegengift zu allem Klerikalismus. Denn je höher jemand in der Hierarchie steht, umso enger ist er in ihr gebunden. Die Gläubigen sind frei, sie können im Gottesdienst weithin machen, was sie wollen, wenn es nur fromm ist und die anderen nicht stört. Es gibt keine Rubriken für die Laien – diese hat erst „Sacrosanctum Concilium“ gefordert – [In der Liturgie soll außer den Auszeichnungen, die auf dem liturgischen Amt oder der heiligen Weihe beruhen, und außer den Ehrungen, die auf Grund liturgischer Gesetze der weltlichen Autorität zukommen, weder im Ritus noch im äußeren Aufwand ein Ansehen von Person oder Rang gelten. – SC 32].

Die alte geistliche Unbekümmertheit in den Kirchenbänken ist uns leider abhanden gekommen, und nicht wenige Teilnehmer fragen sich stattdessen ängstlich:

„Wann soll ich denn aufstehen, was habe ich mitzubeten?“ Die Antwort ist einfach:
„Achte auf die großen Linien – z.B. zum Evangelium zu stehen und zum Kanon zu knien -, störe niemanden in seiner Andacht, und ansonsten kannst Du es halten, wie Du möchtest!“ Dazu kommt:

Der Priester darf die Gläubigen niemals anschauen, zu nahe würden ihm Kontrolle und Gängelei der Anwesenden liegen. Nicht zuletzt aus diesem Grund dürften sich so viele Menschen von der heiligen Messe abgewandt haben, weil die Überbetonung von Gemeinschaft, ja einem uniformen Mittun, und der fehlende Raum für das individuelle Dasein, auch für die wohltuende Distanz von den anderen, ihnen seltsam unangemessen für ein heutiges Empfinden vorkam.

Und sie haben recht! Der Gemeinschaftsgedanke stand in den 20er Jahren in Blüte und bildete eine neuromantische Reaktion auf die Individualisierung. „Vom Ich zum Wir“, dieser Slogan entfaltet heute dagegen eine eher abschreckende Wirkung.

Mit der Freiheit der Gläubigen kontrastiert aber scharf die Bindung des Klerus. Lassen die Rubriken bei den Ministranten noch einigen Spielraum, so ist der höhere Klerus am Altar bis in die kleinste Kleinigkeit hinein gebunden. Beim Pontifikalamt wird dem Bischof sogar noch ein eigener Beistand gegeben, der „presbyter assistens“, der ihm aber auch nicht eine Spur von Freiheit läßt! Vor Gott wird der bischöfliche Hohepriester also wie ein Primiziant behandelt, sein Ehrenvorrecht ist auch seine Fessel! „Wer bei euch der Erste sein will, der soll euer Sklave sein“, dieses Wort des Herrn geht am Altar in Erfüllung (Mt 20,27).

2. DIE PROPHETISCHE KRAFT

Jede Feier der alten Liturgie stellt allen Teilnehmern die Frage Jesu an Marta: „Glaubst du das?“ (Joh 11,26). Der Ritus bringt es an den Tag, ob Priester und Gläubige ihr Herz zu Gott erheben, ob sie beten, ob sie ihren Sinn vom Sichtbaren zum Unsichtbaren hinwenden oder nicht. Fehlt der Glau be, dann wird das Schweigen lähmend, das Latein be fremdlich, das Geschehen am Altar klerikal und das Ganze im Höchstfall ein wenig Traditionspflege. Selbst ein Atheist würde, so meine ich, augenblicklich feststellen, wes Geistes Kind die Anwesenden sind.

So ist der Ritus ein Prophet, also einer, der Priester und Volk im Namen Gottes auf Herz und Nieren prüft und aufdeckt, wo sie stehen. Daß die heilige Messe mit dem Psalm „Judica me“ eröffnet wird, drückt ja gerade diese Bereitschaft aus, sich dem Gericht Gottes zu unterstellen. Nun ist aber die cognitio sui, die Selbsterkenntnis, nach alter Lehre der Grundstein allen geistlichen Lebens.

Wer die Prüfung seiner selbst unterläßt, wer allzu rasch zu Angenehmerem übergehen will, der hat sein Haus auf Sand gebaut (vgl. Mt 7,24-27). Ist es aber nicht gerade das, woran es in der Kirche derzeit am meisten fehlt: Selbsterkenntnis, einschließlich der Bereitschaft zu Reue und Vorsatz? Schuldbekenntnisse sind zwar geradezu in die Mode gekommen, aber interessanterweise werden durchweg nur die Sünden der anderen bekannt.

Wo hingegen findet sich unter den unendlich kirchlichen Verlautbarungen einmal eine realistische Bestandsaufnahme zu den Früchten der Katechese, zur Glaubenstreue kirchlicher Angestellter oder zu den massiven Verletzungen der liturgischen Ordnung?

3. DIE SCHULE DER DEMUT

Hochmut, sein wollen wie Gott, ist die Ursünde: „Eritis sicut Deus scientes bonum et malum. – Ihr werdet sein wie Gott und Gut und Böse wissen“ (Gen 3,5). Darum gibt es auch keine Heilung von ihr als durch Demut. Sie ist das A und O allen christlichen Lebens. Nie war sie selbstverständlich, die Gegenwart aber tut sich ganz besonders schwer mit dieser Haltung.

Denn wann wäre der „homo mensura“-Satz des Protagoras – „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“ – mehr zur allgemeinen Maxime erhoben worden als heute? Das gilt nicht weniger für Glauben und Liturgie. Wenn die Krise des Modernismus darin bestand, objektive Wahrheit in subjektive Erfahrung zurückzunehmen, dann hat der Modernismus heute auf breiter Front gesiegt. Es gibt keine „Wahrheit an sich“ mehr, sondern nur noch „Wahrheit für mich“. Wer aber in die alte Liturgie tritt, betritt sie als Sünder und als Bettler:

Bereits das Stufengebet klärt hier die Verhältnisse ein für alle Mal. Alles ist Dienst Gottes, von dem der Mensch nichts für sich abzweigen will: Proklamation, Anbetung, Darbringung, Opfer und Verdemütigung, sind die dominanten Akte, und alles „pro me“ darin entquillt nur aus dem Überfluß des „pro te“. Ein schönes Indiz dafür ist die Kommunion der Gläubigen. Obwohl sie für diese den Höhepunkt darstellt, die sakramentale Vereinigung mit dem Herrn, gibt es dafür im ordo missae keine eigenen Rubriken, sondern nur im „Rituale Romanum“.

Es gibt auch kein „Muß“ der sakramentalen Kommunion in jeder heiligen Messe. Wie oft ist man gerade über die alte Praxis der Kommunionspendung hergezogen, hat sie als defizitär und als Verkümmerung gedeutet! Nein, es steckt im Gegenteil eine tiefe Weisheit dahinter, die höchste Gabe Gottes mit der größten Demut des Gläubigen zu verbinden. Er empfängt den Leib Christi doch immer nur wie die heidnisch-kanaanäische Frau, wie „die Brotreste, die vom Tisch ihrer Herren fallen“ (Mt 15,27). Geradezu verstohlen im Gesamt der Liturgie drängen sich die Gläubigen also nach vorn und empfangen die heilige Speise, die ihnen doch so notwendig ist.

(aus: Dominus vobiscum Nr. 3, 2011)

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Die traditionelle Liturgie und die Zukunft des Glaubens – (2/6)

(Ausschnitte aus Prof. Dr. Andreas Wollbold –
Die klassische römische Liturgie
und die Zukunft der Kirche)

Statistisch mußte die katholische Kirche in diesen Jahren ihr blaues Wunder erleben: Weder bei den Gottesdienstbesucherzahlen noch bei der persönlichen Glaubensüberzeugung oder auch nur beim Ansehen der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit ist irgendein positiver Nachkonzilseffekt nachzuweisen. Ganz im Gegenteil: Die großen Absetzbewegungen – der jüngeren Generation vom Gottesdienst, der Priester vom Amt, der deutschen Leitkultur vom Christentum, der Unantastbarkeit des Lebens – stehen in einem auffälligen Zusammenhang mit dieser Zeit.

Wohlgemerkt, eine aufmerksame und ausgewogene Lektüre der Dokumente des II. Vatikanums hätte die Kirche in eine ganz andere Richtung geführt. Man kann etwa Teile von „Sacrosanctum Concilium“ mit Gewinn zur Meßvorbereitung nach dem Missale von 1962 lesen. Aber es gehört zur Tragik dieser Zeit, daß der „Geist des Konzils“ als anthropologische Wende mißverstanden wurde: Jetzt stand der Mensch im Mittelpunkt, das, was er will, und das, womit er etwas anfangen konnte. Alles andere galt leicht bloß als Ballast.

Kurz: Wo alle Fremdheit vertrieben wurde, blieb oftmals nur noch das Banale zurück. Aus dem „ad maiorem Dei gloriam (zur höheren Ehre Gottes)“ wurde das „ad maiorem hominis utilitatem (zum größeren Nutzen des Menschen)“. Nur ein Indiz dafür: In einer Studie zur liturgischen Predigt nach dem II. Vatikanischen Konzil ist Norbert Weigl u.a. zu dem überraschenden Ergebnis gekommen, daß die stürmischen nachkonziliaren Reformen und die Einführung des Meßbuchs Pauls VI. nur für kurze Zeit die Aufmerksamkeit der Prediger auf sich ziehen konnten. Ganz offensichtlich dachte man: Jetzt ist doch im Gottesdienst alles einfach und klar. Jetzt braucht man ihm gar nicht mehr viel Beachtung zu schenken. Sprach man zuvor noch von der „Messe in der Betrachtung“, so stellte sie jetzt eher Material zur Veränderung dar.

Tradition als Rettung, ja, jeder gebrauchend-verbrauchenden Nutzung entzieht sich nichts so sehr wie die alte Liturgie. Mit jenem berühmten Rilke-Wort vom archaischen Torso des Apoll fordert sie vielmehr den Betrachter auf: „Du musst dein Leben ändern.“ Participatio actuosa geschieht hier viel radikaler als durch die Übernahme verschiedener liturgischer Dienste oder das Mitmachen bei Gebeten und Gesängen.

Participatio bedeutet der klassischen Liturgie, die Welt Gottes einzutreten, die so ganz anders ist als die Welt der Menschen – und die doch gerade so die Bestimmung des Menschen ist, der hier auf der Erde nicht seine Heimat hat, sondern ein Pilger bleibt.

Gott ist totaliter aliter, und das Gewand dieses Ganz-Anderen ist die Liturgie. Der klassische römische Ritus vermag es, die Menschen emporzuziehen, über sich selbst hinauszuführen zu dieser ihrer Bestimmung, Frucht zu bringen durch Verwandlung.

(aus: Dominus vobiscum Nr. 3, 2011)

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Die traditionelle Liturgie und die Zukunft des Glaubens – (1/6)

(Ausschnitte aus Prof. Dr. Andreas Wollbold –
Die klassische römische Liturgie
und die Zukunft der Kirche)

Rettung durch Tradition […] [Zwar erschöpft sich Tradition] nicht in der Liturgie, aber sie findet darin ihren vornehmsten Ausdruck. Darum soll es im folgenden vor allem um Liturgie gehen.

Unsere erste Frage lautet:
Wie trägt die traditionelle Liturgie zur Zukunft des Glaubens bei?

Pointiert formuliert: durch ihre Fremdheit! Manche Freunde der alten Liturgie hatten ja vielleicht auf einen Durchbruch nach „Summorum Pontificum“ gehofft: Wenn die Gläubigen sie nur einmal wieder erlebt hätten, würden sie nichts anderes mehr wünschen. So ist es nicht gekommen. 40 Jahre (und wohl noch bedeutend mehr) einer weithin ganz anderen gottesdienstlichen Praxis, ja generell einer Kultur, die von der blitzschnellen Verwertbarkeit starker Reize lebt, haben den Zugang zum römischen Ritus in seiner klassischen Gestalt beinahe vollständig versperrt.

Zutreffend nüchtern hat der Büchner-Preisträger Martin Mosebach die Lage eingeschätzt:

Ich mache mir da wenig Illusionen, daß da nun in einem Rausch plötzlich ein großes Verständnis für die alte Liturgie wieder erwächst. Die alte Liturgie ist nicht etwas, was auf den ersten Blick überzeugt. Sie braucht eine intensive Vertrautheit. Man muß mit ihr leben.

Mehr noch, in provokativer Art und Weise hat die traditionelle Liturgie es geradezu darauf angelegt, sich der raschen Begeisterung, der ekstatischen Überwältigung oder auch nur dem ästhetischen Genuß zu entziehen. Wen bloß die Neugierde zu ihr treibt, wer nur den mystischen Schauer sucht oder eine spirituelle Gänsehaut, der wird enttäuscht werden.

Denn es ist, als wollten die heiligen Geheimnisse die Offenbarung Gottes nachahmen: Die revelatio, das Enthüllen des Schleiers durch Gott, verlangt vom Menschen stets die velatio, den Schritt zurück in die Distanz, in das Ahnen, ohne schauen zu wollen. Am Sinai „hielt sich das Volk in der Ferne und Mose näherte sich der dunklen Wolke, in der Gott war“ (Ex 20,21). Selbst dem Mose gibt Gott sich nur von hinten zu schauen, „mein Angesicht aber darf niemand sehen“ (vgl. Ex 33,23: „videbis posteriora mea“), und ganz ähnlich darf der Prophet Elia, sein Gesicht mit dem Mantel verhüllt, den Herrn im Eingang der Höhle am Horeb nur ahnen, aber nicht schauen (vgl. 1 Kön 19,13).

Die lateinische Sprache, die Zelebrationsrichtung, die Verhüllungen und Verschleierungen von Kelch und Patene, auf dem Altar das Gewand Priesters, das das Geschehen wie eine Ikonostase verdeckt, das lange Wegtauchen der Sprache, das für niemanden als Gott allein hörbare Wort, der Choral mit einer Ästhetik, die von den Sinnen viel an Vergeistigung verlangt – ganz anders als das gewohnte Anregen oder gar Aufputschen – u.v.a., all diese Elemente geben viel, aber doch stets so, als würde es sich jederzeit auch wieder entziehen können. Es ist, als wolle diese Gabe das Gleichnis vom Sämann wahrmachen (Mk 4,1-25).

Denn gegenüber der Liturgie gibt es viele unangemessene Arten der Aufnahme ihres Samens, also defiziente Formen der Teilnahme an den göttlichen Geheimnissen:

– Es gibt den Samen auf dem Weg – d.h. die rasche Greifbarkeit, die Begreifbarkeit des „Sofort“ (Mk 4,14), also die teuflische Versuchung, alles umstandslos brauchbar, verbrauchbar zu machen und Gottes Gabe nur als Proviant für die eigenen Wege mitzunehmen;
– den Samen auf dem felsigen Boden – die charismatische Begeisterung derer, die den Samen „freudig aufnehmen“ (Mk 4,16), ohne ihn Wurzeln schlagen zu lassen;
– den Samen in den Dornen – die „Gier nach all den anderen Dingen“ (Mk 4,19), also das heilige Tun für alles mögliche andere missbrauchen zu wollen: Applaus für den routinierten Alleinunterhalter, Selbstdarstellung der liturgischen Gestalter oder der Musiker, Inszenierung des Ganz-Persönlichen bei einer Trauung oder einer Taufe usw.

Aber es gibt auch die einzig angemessene Form liturgischer Teilnahme: Da fällt der Same auf guten Boden und bringt dreißig-, sechzig-, ja hundertfach Frucht – das aber geschieht nur, wenn der Same zunächst ins Erdreich verschwindet, d.h. im humus zu einem humilis wird, nicht um den Samen irgendwie zu eigenen Zwecken zu manipulieren, sondern um sich wie der Same zur Frucht verwandeln zu lassen. Hier hören wir das alte Wort von den Meßopfer-Früchten noch einmal mit ganz neuen Ohren: Jede Frucht der heiligen Messe erwächst aus dem Opfer, daraus, daß ein Mensch im Herrn wie das Weizenkorn in die Erde fällt und stirbt – und so erst reiche Frucht bringt (vgl. Joh 12,24).

Nicht umsonst schließt der Heiland an das Gleichnis noch die Mahnung zum rechten Hören an:
Wenn einer Ohren hat zum Hören, so höre er!“ (Mk 4,23).
Seid Same, der in tiefe Erde fällt – dann erst werden die heiligen Geheimnisse Frucht bringen.“
Die alte Liturgie braucht also das neue Ohr, ein Ohr, das aufnimmt, um sich verwandeln zu lassen und nicht um etwas an sich zu reißen, um etwas damit zu machen.

Besteht darin nicht der Schlüssel zur Zukunft des Glaubens? Nach dem letzten Konzil ist etwas Eigenartiges geschehen. Glaube, Liturgie und Kirche sollten den Menschen „näher“, begreiflicher, zugänglicher und handlicher werden. Daraufhin wurde jegliche Fremdheit getilgt: die fremde Sprache, lange Momente der Stille, der Abstand zum Altar, Riten, deren Feinheit sich erst nach vielen Jahren erschließt u.v.a. Worte wie Sünde, Gnade und Seele wurden ins Alltagsdeutsch übersetzt, und beim Übersetzen sind sie oft wie in einem lecken Kahn beim Über-Setzen über einen See in der Tiefe des Wassers auf Nimmerwiedersehen versunken.

Die liturgische Ästhetik wurde einem umfassenden aggiornamento unterzogen – denken wir etwa nur an eine solche Kleinigkeit wie die Kerzen: Die klassische hohe, schlanke Altarkerze war dem Sursum corda des zum Himmel strebenden Hoch-Altars angemessen. Daraus wurde nun der wuchtige „Bodenkriecher“ mit Wohnzimmer atmosphäre auf dem Volksaltar. War jetzt nicht überhaupt alles „handy“, also handlich, faßbar auf den ersten Blick? Doch was man schon mit einem Blick erfassen kann, davon wendet sich der zweite Blick rasch wieder ab. Auch beim eyecatcher, dem Blickfang auf der ersten Seite einer Zeitung, verweilt man ja nicht, sondern blättert rasch weiter. Genauso ist es auch dem Glauben, der Kirche und der Liturgie nach 1965 gegangen: Man ging rasch weiter, gleich ob zu Baghwan oder zu Hausbackenem.

(aus: Dominus vobiscum Nr. 3, 2011)

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