Sr. Teresia Benedicta a Cruce (Edith Stein) – 6. Januar 1940
Wenn in den dunklen Dezembertagen das milde Licht der Adventskerzen aufleuchtet – ein geheimnisvolles Licht in einem geheimnisvollen Dunkel – , dann erweckt es in uns den tröstlichen Gedanken, daß das göttliche Licht, der Heilige Geist, niemals aufgehört hat, in die Finsternis der gefallenen Welt hineinzuleuchten. Er ist Seiner Schöpfung treu geblieben ungeachtet aller Untreue der Geschöpfe. Und wenn die Finsternis sich nicht von dem himmlischen Licht durchdringen lassen wollte, so fanden sich doch darin immer auch einige empfängliche Stellen, wo es aufleuchten konnte.
Ein Strahl dieses Lichtes fiel in die Herzen der Stammeltern schon in der Stunde des Gerichtes, das über sie erging. Ein erleuchtender Strahl, der in ihnen Erkenntnis ihrer Schuld weckte; ein zündender Strahl, der sie in heißem Reueschmerz entbrennen ließ, läuternd und reinigend, und sie empfänglich machte für das milde Licht des Hoffnungssternes, der in den Verheißungsworten des Urevangeliums ihnen aufstrahlte.
Wie die Herzen der ersten Menschen, so sind in der Folge der Zeiten immer wieder Menschenherzen von dem göttlichen Strahl getroffen worden. Vor aller Welt verborgen erleuchtete und durchglühte er sie, ließ den harten, verkrusteten, mißgestalteten Stoff dieser Herzen weich werden und formte ihn dann mit zarter Künstlerhand aufs neue nach dem Bilde Gottes. Von keinem Menschenauge gesehen, wurden und werden so die lebendigen Bausteine gebildet und zu einer zunächst unsichtbaren Kirche zusammengefügt. Aus dieser unsichtbaren Kirche aber wächst die sichtbare hervor in immer neuen, weithin leuchtenden Gottestaten und Gottesoffenbarungen – immer neuen Epiphanien. Das stille Wirken des Heiligen Geistes im Innersten der Seele hat die Patriarchen zu Freunden Gottes gemacht.
Als sie aber so weit waren, sich Ihm als gefügige Werkzeuge zu überlassen, setzte Er sie ein in äußerlich sichtbarer Wirksamkeit, als Träger geschichtlicher Entwicklung, und erweckte aus ihnen Sein auserwähltes Volk. So wurde auch Moyses erst in der Stille herangebildet und dann als Führer und Gesetzgeber gesandt. – Nicht jeder, den Gott als Werkzeug gebraucht, muß in dieser Weise vorgebildet sein. Es können auch Menschen ohne ihr Wissen oder sogar gegen ihren Willen Gott als Werkzeug dienen; evtl. Menschen, die weder äußerlich noch innerlich zur Kirche gehören. Sie werden dann angesetzt wie der Hammer oder Meißel des Künstlers oder wie das Messer, womit der Winzer die Rebzweige beschneidet. Bei denen, die zur Kirche gehören, kann evtl. zeitlich die äußere Zugehörigkeit der inneren vorausgehen, ja auch sachlich dafür von Bedeutung sein (so wenn jemand ohne Glauben getauft wird und dann durch das äußere Leben in der Kirche zum Glauben gelangt).
Aber das letztlich Tragende ist das innere Leben; die Bildung geht von innen nach außen. Je tiefer eine Seele mit Gott verbunden ist, je restloser der Gnade hingegeben, desto stärker wird ihr Einfluß auf die Gestaltung der Kirche sein. Umgekehrt: je mehr eine Zeit in die Nacht der Sünde und Gottesferne versunken ist, desto mehr bedarf sie der gottverbundenen Seelen. Gott läßt es auch daran nicht fehlen. Aus der dunkelsten Nacht treten die größten Propheten – Heiligengestalten hervor. Aber zum großen Teil bleibt der gestaltende Strom des mystischen Lebens unsichtbar. Sicherlich werden die entscheidenden Wendungen in der Weltgeschichte wesentlich mitbestimmt durch Seelen, von denen kein Geschichtsbuch etwas meldet. Und welchen Seelen wir die entscheidenden Wendungen in unserem persönlichen Leben verdanken, das werden wir auch erst an dem Tage erfahren, an dem alles Verborgene offenbar wird.
Weil die verborgenen Seelen nicht abgesondert leben, sondern in lebendigem Zusammenhang und in einer großen göttlichen Ordnung stehen, darum sprechen wir von einer unsichtbaren Kirche. Ihre Wirksamkeit und ihr Zusammenhang können ihnen selbst und andern während ihres ganzen Erdenlebens verborgen bleiben. Es ist aber auch möglich, daß etwas davon in der äußeren Ordnung sichtbar wird. So war es bei den Personen und Ereignissen, die in das Geheimnis der Menschwerdung verflochten sind. Maria und Joseph, Zacharias und Elisabeth, die Hirten und die Könige, Simeon und Anna – sie alle hatten ein einsames Leben mit Gott hinter sich und waren für ihre besondere Aufgabe vorbereitet, ehe sie sich in jenen wunderbaren Begegnungen und Begebenheiten zusammenfanden und ihren bisherigen Weg rückschauend als Hinführung zu diesen Höhepunkten verstanden. In den überlieferten Lobgesängen kommt ihre staunende Anbetung vor den göttlichen Großtaten zum Ausdruck. – In den Menschen, die um die Krippe versammelt sind, haben wir ein Bild der Kirche und ihrer Entwicklung. Die Vertreter des alten Königsgeschlechtes, dem der Weltheiland verheißen war, und die Vertreter des gläubigen Volkes stellen die Verbindung zwischen dem Alten und dem Neuen Bunde her. Die Könige aus dem fernen Morgenlande weisen auf die Heidenvölker, denen von Juda her das Heil kommen soll. So steht hier schon »die Kirche aus Juden und Heiden.« Die Könige sind an der Krippe als Vertreter der Suchenden aus allen Ländern und Völkern. Die Gnade hat sie geführt, ehe sie noch zur äußeren Kirche gehörten. In ihnen lebte ein reines Verlangen nach der Wahrheit, das nicht haltmachte vor den Grenzen heimischer Lehren und Überlieferungen. Weil Gott die Wahrheit ist und weil Er sich finden lassen will von denen, die Ihn von ganzem Herzen suchen, mußte diesen »Weisen« früher oder später der Stern aufleuchten, der ihnen den Weg zur Wahrheit zeigte. Und so stehen sie jetzt vor der menschgewordenen Wahrheit, sinken vor ihr anbetend nieder und legen ihre Kronen zu Füßen, weil alle Schätze der Welt nur ein wenig Staub sind im Vergleich zu ihr.
Auch für uns haben die Könige eine besondere Bedeutung. Gehörten wir auch schon der äußeren Kirche an, so trieb doch auch uns ein inneres Drängen hinaus aus dem Kreis der ererbten Anschauungen und Gewohnheiten. Wir kannten Gott, aber wir fühlten, daß Er von uns auf eine neue Art gesucht und gefunden werden wollte. Darum wollten wir uns aufmachen und suchten nach einem Stern, der uns den rechten Weg weise. Und er ging uns auf in der Gnade der Berufung. Wir folgten ihm und fanden das göttliche Kindlein. Es streckte die Hände aus nach unsern Gaben: es wollte das lautere Gold eines von allen irdischen Gütern losgelösten Herzens; die Myrrhe des Verzichtes auf alles Glück dieser Welt, um dafür Anteil am Leben und Leiden Jesu einzutauschen; den Weihrauch eines gerade emporstrebenden Willens, der sich selbst aufgibt, um sich im göttlichen Willen zu verlieren. Für diese Gaben schenkte uns das göttliche Kind sich selbst.
Aber dieser wunderbare Tauschhandel war nicht etwas Einmaliges. Er erfüllt unser ganzes Leben. Auf die festliche Stunde der bräutlichen Hingabe folgte der Alltag des Ordenslebens. Wir mußten »in unser Land zurückziehen«, aber »auf einem andern Wege«: geleitet von dem neuen Licht, das uns an feierlicher Stätte aufgestrahlt war. Das neue Licht fordert uns auf, von neuem zu suchen. »Gott läßt sich suchen«, sagt St. Augustinus, »um sich finden zu lassen. Er läßt sich finden, um wiederum gesucht zu werden«. Nach jeder großen Gnadenstunde ist es, als fingen wir jetzt erst an, unsern Beruf zu begreifen. Darum entspricht es auch einem inneren Bedürfnis, daß wir unsere Gelübde immer wieder erneuern. Und es liegt ein tiefer Sinn darin, daß wir es am Fest der Heiligen 3 Könige tun, deren Wanderung und Bekenntnis uns ein Sinnbild unseres Lebens ist. Auf jede echte, von Herzen vollzogene Gelübdeerneuerung antwortet das göttliche Kind mit einer erneuten Annahme, einer tieferen Vereinigung. Und das bedeutet ein neues, verborgenes Gnadenwirken in unserer Seele. Vielleicht äußert es sich in einer »Epiphanie«, einem Sichtbarwerden des göttlichen Wirkens in unserm äußeren Verhalten und Wirken, das die Umgebung wahrnimmt. Vielleicht trägt es aber auch Früchte, denen es kein Mensch ansieht, aus welchen geheimen Quellen ihnen der Lebenssaft zuströmt.
Wir leben heute wieder in einer Zeit, die der Erneuerung aus den verborgenen Quellen gottverbundener Seelen dringend bedarf. Es setzen auch viele heute ihre letzte Hoffnung auf diese verborgenen Quellen des Heils. Das ist ein ernster Mahnruf: rückhaltlose Hingabe an den Herrn, der uns gerufen hat, das wird von uns verlangt, damit das Angesicht der Erde erneuert werden könne. In gläubigem Vertrauen müssen wir unsere Seele dem Walten des Heiligen Geistes überlassen. Es ist nicht nötig, daß wir die »Epiphanie« unseres Lebens erfahren. Wir dürfen in der Glaubensgewißheit leben, daß das, was der Geist Gottes verborgen in uns wirkt, seine Früchte trägt im Reich Gottes. Wir werden sie schauen in der Ewigkeit.
So wollen wir denn dem Herrn unsere Gaben bringen: wir legen sie in die Hände der Gottesmutter; ihrer Verehrung ist dieser 1. Samstag besonders geweiht, und die immer tiefere Hingabe an das göttliche Herz. Sie wird ferner gewiß keine Bitte lieber dem Kind in der Krippe empfehlen als die um heilige Priester und ein segensreiches priesterliches Wirken – die Bitte, die der heutige Priestersamstag von uns fordert und die unsere heilige Mutter uns als wesentliches Bestandstück unseres Karmelberufes so dringend ans Herz gelegt hat.
Sr. Teresia Benedicta a Cruce -Edith Stein-, Geistliche Texte II
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