Nirgendwo fruchtbarer

Betrachtung vor dem Allerheiligsten

Wer es ausprobiert hat, weiß, dass die Betrachtung nirgends fruchtbarer gemacht wird als vor dem Tabernakel. Es ist ja jedem bekannt, dass dieselbe Sache zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Umständen ganz verschieden wirkt. Man hat ein Schriftwort hundertmal gelesen, gehört und gesagt, auch in gewissem Sinn verstanden, aber es ist nicht ins Innere eingedrungen -[…]. Aber plötzlich einmal dringt es durch und wird zum blitzartig aufstrahlenden Licht, das hineinleuchtet in die Geheimnisse des Glaubens und den eigenen dunklen Lebenspfad erhellt. Und das ereignet sich am häufigsten in der Nähe des eucharistischen Heilands.

Wer ihn aufsucht und ihm die Seele öffnet, sie ihm gleichsam als bildsames Material in die Hände legt, dem formt er selbst sie. Er öffnet die Augen des Geistes, so dass sie hellsichtig werden für das, was geschrieben steht, und die Ohren, dass sie es vernehmen, und die Lippen, dass sie es künden können, wann und wo und wie es fruchtbar geschehen kann. Das ist nur eine der Wirkungen, die vom eucharistischen Heiland ausgehen: Er legt die Hand auf uns, wenn wir zu ihm kommen, am stärksten natürlich, wenn wir am Hl. Opfer teilnehmen in der Weise, wie es der Sinn dieses Opfers verlangt, d.h., wenn wir nicht nur beiwohnen und sehen und hören, sondern mitopfern, uns selbst ganz hingeben, um mit umgewandelt und mit dargebracht zu werden: den Menschen, der in dieser Gesinnung zum Altar tritt, kann der Heiland in der eigentlichsten Weise sich einverleiben, zum Glied seines Leibes machen, zum Rebzweig am göttlichen Weinstock. Es bedarf kaum eines Wortes, dass zu solcher Teilnahme am Hl. Messopfer die Hl. Kommunion als Vollzug der Vereinigung mit gehört.

Edith Stein – Hl. Teresa Benedikta vom Kreuz, Karmelitin –
Die Mitwirkung der klösterlichen Anstalten an der religiösen Bildung der Jugend, 1929

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Verborgenes Leben und Epiphanias

Sr. Teresia Benedicta a Cruce (Edith Stein) – 6. Januar 1940

Wenn in den dunklen Dezembertagen das milde Licht der Adventskerzen aufleuchtet – ein geheimnisvolles Licht in einem geheimnisvollen Dunkel – , dann erweckt es in uns den tröstlichen Gedanken, daß das göttliche Licht, der Heilige Geist, niemals aufgehört hat, in die Finsternis der gefallenen Welt hineinzuleuchten. Er ist Seiner Schöpfung treu geblieben ungeachtet aller Untreue der Geschöpfe. Und wenn die Finsternis sich nicht von dem himmlischen Licht durchdringen lassen wollte, so fanden sich doch darin immer auch einige empfängliche Stellen, wo es aufleuchten konnte.

Ein Strahl dieses Lichtes fiel in die Herzen der Stammeltern schon in der Stunde des Gerichtes, das über sie erging. Ein erleuchtender Strahl, der in ihnen Erkenntnis ihrer Schuld weckte; ein zündender Strahl, der sie in heißem Reueschmerz entbrennen ließ, läuternd und reinigend, und sie empfänglich machte für das milde Licht des Hoffnungssternes, der in den Verheißungsworten des Urevangeliums ihnen aufstrahlte.

Wie die Herzen der ersten Menschen, so sind in der Folge der Zeiten immer wieder Menschenherzen von dem göttlichen Strahl getroffen worden. Vor aller Welt verborgen erleuchtete und durchglühte er sie, ließ den harten, verkrusteten, mißgestalteten Stoff dieser Herzen weich werden und formte ihn dann mit zarter Künstlerhand aufs neue nach dem Bilde Gottes. Von keinem Menschenauge gesehen, wurden und werden so die lebendigen Bausteine gebildet und zu einer zunächst unsichtbaren Kirche zusammengefügt. Aus dieser unsichtbaren Kirche aber wächst die sichtbare hervor in immer neuen, weithin leuchtenden Gottestaten und Gottesoffenbarungen – immer neuen Epiphanien. Das stille Wirken des Heiligen Geistes im Innersten der Seele hat die Patriarchen zu Freunden Gottes gemacht.

Als sie aber so weit waren, sich Ihm als gefügige Werkzeuge zu überlassen, setzte Er sie ein in äußerlich sichtbarer Wirksamkeit, als Träger geschichtlicher Entwicklung, und erweckte aus ihnen Sein auserwähltes Volk. So wurde auch Moyses erst in der Stille herangebildet und dann als Führer und Gesetzgeber gesandt. – Nicht jeder, den Gott als Werkzeug gebraucht, muß in dieser Weise vorgebildet sein. Es können auch Menschen ohne ihr Wissen oder sogar gegen ihren Willen Gott als Werkzeug dienen; evtl. Menschen, die weder äußerlich noch innerlich zur Kirche gehören. Sie werden dann angesetzt wie der Hammer oder Meißel des Künstlers oder wie das Messer, womit der Winzer die Rebzweige beschneidet. Bei denen, die zur Kirche gehören, kann evtl. zeitlich die äußere Zugehörigkeit der inneren vorausgehen, ja auch sachlich dafür von Bedeutung sein (so wenn jemand ohne Glauben getauft wird und dann durch das äußere Leben in der Kirche zum Glauben gelangt).

Aber das letztlich Tragende ist das innere Leben; die Bildung geht von innen nach außen. Je tiefer eine Seele mit Gott verbunden ist, je restloser der Gnade hingegeben, desto stärker wird ihr Einfluß auf die Gestaltung der Kirche sein. Umgekehrt: je mehr eine Zeit in die Nacht der Sünde und Gottesferne versunken ist, desto mehr bedarf sie der gottverbundenen Seelen. Gott läßt es auch daran nicht fehlen. Aus der dunkelsten Nacht treten die größten Propheten – Heiligengestalten hervor. Aber zum großen Teil bleibt der gestaltende Strom des mystischen Lebens unsichtbar. Sicherlich werden die entscheidenden Wendungen in der Weltgeschichte wesentlich mitbestimmt durch Seelen, von denen kein Geschichtsbuch etwas meldet. Und welchen Seelen wir die entscheidenden Wendungen in unserem persönlichen Leben verdanken, das werden wir auch erst an dem Tage erfahren, an dem alles Verborgene offenbar wird.

Weil die verborgenen Seelen nicht abgesondert leben, sondern in lebendigem Zusammenhang und in einer großen göttlichen Ordnung stehen, darum sprechen wir von einer unsichtbaren Kirche. Ihre Wirksamkeit und ihr Zusammenhang können ihnen selbst und andern während ihres ganzen Erdenlebens verborgen bleiben. Es ist aber auch möglich, daß etwas davon in der äußeren Ordnung sichtbar wird. So war es bei den Personen und Ereignissen, die in das Geheimnis der Menschwerdung verflochten sind. Maria und Joseph, Zacharias und Elisabeth, die Hirten und die Könige, Simeon und Anna – sie alle hatten ein einsames Leben mit Gott hinter sich und waren für ihre besondere Aufgabe vorbereitet, ehe sie sich in jenen wunderbaren Begegnungen und Begebenheiten zusammenfanden und ihren bisherigen Weg rückschauend als Hinführung zu diesen Höhepunkten verstanden. In den überlieferten Lobgesängen kommt ihre staunende Anbetung vor den göttlichen Großtaten zum Ausdruck. – In den Menschen, die um die Krippe versammelt sind, haben wir ein Bild der Kirche und ihrer Entwicklung. Die Vertreter des alten Königsgeschlechtes, dem der Weltheiland verheißen war, und die Vertreter des gläubigen Volkes stellen die Verbindung zwischen dem Alten und dem Neuen Bunde her. Die Könige aus dem fernen Morgenlande weisen auf die Heidenvölker, denen von Juda her das Heil kommen soll. So steht hier schon »die Kirche aus Juden und Heiden.« Die Könige sind an der Krippe als Vertreter der Suchenden aus allen Ländern und Völkern. Die Gnade hat sie geführt, ehe sie noch zur äußeren Kirche gehörten. In ihnen lebte ein reines Verlangen nach der Wahrheit, das nicht haltmachte vor den Grenzen heimischer Lehren und Überlieferungen. Weil Gott die Wahrheit ist und weil Er sich finden lassen will von denen, die Ihn von ganzem Herzen suchen, mußte diesen »Weisen« früher oder später der Stern aufleuchten, der ihnen den Weg zur Wahrheit zeigte. Und so stehen sie jetzt vor der menschgewordenen Wahrheit, sinken vor ihr anbetend nieder und legen ihre Kronen zu Füßen, weil alle Schätze der Welt nur ein wenig Staub sind im Vergleich zu ihr.

Auch für uns haben die Könige eine besondere Bedeutung. Gehörten wir auch schon der äußeren Kirche an, so trieb doch auch uns ein inneres Drängen hinaus aus dem Kreis der ererbten Anschauungen und Gewohnheiten. Wir kannten Gott, aber wir fühlten, daß Er von uns auf eine neue Art gesucht und gefunden werden wollte. Darum wollten wir uns aufmachen und suchten nach einem Stern, der uns den rechten Weg weise. Und er ging uns auf in der Gnade der Berufung. Wir folgten ihm und fanden das göttliche Kindlein. Es streckte die Hände aus nach unsern Gaben: es wollte das lautere Gold eines von allen irdischen Gütern losgelösten Herzens; die Myrrhe des Verzichtes auf alles Glück dieser Welt, um dafür Anteil am Leben und Leiden Jesu einzutauschen; den Weihrauch eines gerade emporstrebenden Willens, der sich selbst aufgibt, um sich im göttlichen Willen zu verlieren. Für diese Gaben schenkte uns das göttliche Kind sich selbst.

Aber dieser wunderbare Tauschhandel war nicht etwas Einmaliges. Er erfüllt unser ganzes Leben. Auf die festliche Stunde der bräutlichen Hingabe folgte der Alltag des Ordenslebens. Wir mußten »in unser Land zurückziehen«, aber »auf einem andern Wege«: geleitet von dem neuen Licht, das uns an feierlicher Stätte aufgestrahlt war. Das neue Licht fordert uns auf, von neuem zu suchen. »Gott läßt sich suchen«, sagt St. Augustinus, »um sich finden zu lassen. Er läßt sich finden, um wiederum gesucht zu werden«. Nach jeder großen Gnadenstunde ist es, als fingen wir jetzt erst an, unsern Beruf zu begreifen. Darum entspricht es auch einem inneren Bedürfnis, daß wir unsere Gelübde immer wieder erneuern. Und es liegt ein tiefer Sinn darin, daß wir es am Fest der Heiligen 3 Könige tun, deren Wanderung und Bekenntnis uns ein Sinnbild unseres Lebens ist. Auf jede echte, von Herzen vollzogene Gelübdeerneuerung antwortet das göttliche Kind mit einer erneuten Annahme, einer tieferen Vereinigung. Und das bedeutet ein neues, verborgenes Gnadenwirken in unserer Seele. Vielleicht äußert es sich in einer »Epiphanie«, einem Sichtbarwerden des göttlichen Wirkens in unserm äußeren Verhalten und Wirken, das die Umgebung wahrnimmt. Vielleicht trägt es aber auch Früchte, denen es kein Mensch ansieht, aus welchen geheimen Quellen ihnen der Lebenssaft zuströmt.

Wir leben heute wieder in einer Zeit, die der Erneuerung aus den verborgenen Quellen gottverbundener Seelen dringend bedarf. Es setzen auch viele heute ihre letzte Hoffnung auf diese verborgenen Quellen des Heils. Das ist ein ernster Mahnruf: rückhaltlose Hingabe an den Herrn, der uns gerufen hat, das wird von uns verlangt, damit das Angesicht der Erde erneuert werden könne. In gläubigem Vertrauen müssen wir unsere Seele dem Walten des Heiligen Geistes überlassen. Es ist nicht nötig, daß wir die »Epiphanie« unseres Lebens erfahren. Wir dürfen in der Glaubensgewißheit leben, daß das, was der Geist Gottes verborgen in uns wirkt, seine Früchte trägt im Reich Gottes. Wir werden sie schauen in der Ewigkeit.

So wollen wir denn dem Herrn unsere Gaben bringen: wir legen sie in die Hände der Gottesmutter; ihrer Verehrung ist dieser 1. Samstag besonders geweiht, und die immer tiefere Hingabe an das göttliche Herz. Sie wird ferner gewiß keine Bitte lieber dem Kind in der Krippe empfehlen als die um heilige Priester und ein segensreiches priesterliches Wirken – die Bitte, die der heutige Priestersamstag von uns fordert und die unsere heilige Mutter uns als wesentliches Bestandstück unseres Karmelberufes so dringend ans Herz gelegt hat.

Sr. Teresia Benedicta a Cruce -Edith Stein-, Geistliche Texte II

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Die Bedeutung des Wortes: Sein Kreuz auf sich nehmen.

Sein Kreuz auf sich nehmen, das heißt aktiv in die dunkle Nacht eingehen.

Der Heilige [Johannes vom Kreuz] gibt dafür einige kurze und bündige Weisungen, von denen er selbst sagt:
»Wer sich… allen Ernstes darin schulen will, der wird keine anderen mehr brauchen, da er in ihnen alle hat.«

Sie lauten:
»1)  Trage immerfort das Verlangen, Christus in allen Dingen nachzuahmen und dein Leben dem seinen gleichförmig zu machen. Darum mußt du es betrachten, damit du es nachahmen und in allem dich so verhalten kannst, wie er sich verhalten würde.
2)  Damit du das ja gut fertigbringst, mußt  du auf  jeden Genuß verzichten, der sich deinen Sinnen bietet, und ihn fern von dir halten, wenn er nicht einzig zur Ehre und Verherrlichung Gottes gereicht.
 
Und zwar sollst du das tun aus Liebe zu Jesus, der in seinem Leben keine andere Freude und kein Verlangen kannte, als den Willen seines Vaters zu vollziehen. Dies nannte er seine Speise und Nahrung. Wenn sich dir z. B. ein Vergnügen bietet im Anhören von Dingen, die nicht zum Dienste Gottes beitragen, dann sollst du daran weder Freude haben noch sie anhören wollen…  

Ebenso übe Entsagung in Bezug auf alle deine Sinne, sofern du ihre Eindrücke gut abweisen kannst. Denn sofern du dies nicht kannst, genügt es, daß du wenigstens keine Freude daran hast, wenn diese Dinge an dich herantreten.
Sorge desgleichen dafür, wie du deine Sinne abtötest und unberührt bewahrst von jener Lust. Dann werden sie gleichsam im Dunkeln sein und du wirst so in kurzer Zeit große Fortschritte machen.  
Als durchgreifende Mittel zur Abtötung und harmonischen Ordnung der vier natürlichen Leidenschaften: Freude, Hoffnung, Furcht und Schmerz mögen folgende Leitsätze dienen. Denn wo diese Leidenschaften beruhigt und wohlgeordnet sind, da können die obengenannten Güter und  viele andere gedeihen. Darum sind diese Leitsätze auch von großem Wert und die Wurzel großer Tugenden.

Trage Sorge dafür, daß deine Neigung stets gerichtet sei:
Nicht auf das Leichtere, sondern auf das Schwierigere,
Nicht auf das Angenehmere, sondern auf das Unangenehmere,
Nicht auf das, was dir mehr Freude, sondern was dir Unfreude bringt,
Nicht auf das, was dir Trost, sondern vielmehr auf das, was dir Mißtrost bereitet,
Nicht auf die Ruhe, sondern auf die Mühe,
Nicht auf das Mehr, sondern auf das Weniger,
Nicht auf das Höhere und Wertvollere, sondern auf das Niedrige und Unscheinbare,
Nicht auf das, was etwas sein will, sondern auf das, was nichts sein will.
Nicht das Bessere in den Dingen suchen, sondern das Schlechtere. Verlange um Christi willen
einzugehen in völlige Entblößung und Freiheit und Armut von allem, was es in der Welt gibt. Diese
Werke sollst du von Herzen umfangen und dich bemühen, den Willen darin aufgehen zu lassen …
Wird das Gesagte recht gehandhabt, so genügt es, um eingehen zu können in die Nacht des Sinnes …«

Daß dieses aktive Eingehen in die dunkle Nacht der Sinne gleichbedeutend ist mit bereitwilligem Aufnehmen des Kreuzes und beharrlichem Kreuztragen, bedarf keiner Erläuterung mehr. Aber am Kreuztragen allein stirbt man nicht. Und um die Nacht völlig zu durchschreiten, muß der Mensch der Sünde sterben. Er kann sich zur Kreuzigung ausliefern, aber er kann sich nicht selbst kreuzigen.

Darum muß das, was die aktive Nacht begonnen hat, durch die passive Nacht vollendet werden, d. h. durch Gott selbst. »Soviel sich auch die Seele bemüht, sie vermag doch nicht durch eigene Anstrengung sich so wirksam zu reinigen, daß sie auch nur im geringsten zur vollkommenen Liebesvereinigung mit Gott fähig ist, wenn er sie nicht in seine Hand nimmt und in jenem dunklen Feuer reinigt…«

Aus:
Edith Stein/Sr. Teresia Benedicta a Cruce
Kreuzeswissenschaft – Studie über Johannes vom Kreuz
§ 3. Dunkle Nacht der Sinne
b. Aktives Eingehen in die Nacht als Kreuzesnachfolge