25 Jahre tridentinische Messe – Kardinal Ratzinger in Weimar

Anlässlich Hauptversammlung der Laienvereinigung für die traditionelle Römische Liturgie „Pro Missa Tridentina“ am 17. April 1999 in Weimar zelebrierte Kardinal Joseph Ratzinger ein Pontifikalamt. An jenem Samstag nach dem Weißen Sonntag sagte er in seiner Predigt:

Der Geist, das Wasser und das Blut. Und er verweist damit zurück auf das Ende der Passionsgeschichte, wo er mit Nachdruck betont, daß das Herz Jesu von dem römischen Soldaten durchstochen wurde und daß Blut und Wasser herausgeflossen sind, und er verbindet dies mit der Prophezeiung des Propheten Zacharias: Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben. Es war ein Wort, das damals Israel noch unverständlich bleiben mußte, denn wer konnte Der sein, zu Dem aufzuschauen Heil bringt, so wie einst das Aufschauen zu der ehernen Schlange in der Wüste Rettung brachte? Wer konnte Der sein, zu Dem man nicht nur äußerlich, sondern mit den Augen des Herzens, mit dem ganzen Sein aufblicken muß, damit man aufblickend verwandelt, gereinigt und geheilt wird?

Im Kreuz Christi, in der Stunde Seiner Durchbohrung wird diese Prophezeiung Wirklichkeit und wird sie damit verständlich. Zacharias hat damals gesprochen, daß durch diese Durchbohrung eine Quelle der Reinigung ausgehen würde, durch die die Menschen geheilt, gewaschen und verwandelt würden. […]

Und dann, die schönste Gabe des Heiligen Geistes: Ihr könnt in meinem Auftrag die Sünden vergeben. Es ist darum gestritten worden und wird wohl noch, ob dieses Wort nur von der Taufe gilt oder von der Buße. Ein Mystiker schreibt: Natürlich ist der Heilige Geist in der Taufe sündenvergebend da, aber ebenso klar ist, daß damit die Kraft des Heiligen Geistes nicht erlischt, daß sie weiterreicht, daß erneut im Sakrament der Buße Kraft der Vergebung ist, daß uns geschenkt ist, aus unseren Erstarrungen in der Sünde heraus, aus unserem Verfall, unseren inneren Krankheiten neu geschaffen zu werden. Daß Er uns als der Vergebende immer neu schafft, was keine Psychologie und Psychotherapie kann und was wir alle brauchen, um leben und hoffen, um lieben zu können. Das gibt Er uns, der Heilige Geist, in der Gabe der Vergebung, in der Er uns wirklich neu schafft, das Zerstörerische aus uns wegnimmt, so daß vorbei ist, was uns innerlich verbannte und von Gott trennte und wir von vorne neu beginnen können als Erneuerte, Neugeschaffene.

PMT-Hauptversammlung 1999 in Weimar, Pontifikalamt Kard. Ratzinger.
Photo Pro Missa Tridentina

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Ein überzeugendes Zeugnis der Freimaurerei im Vatikan der 60er und 70er Jahre

Vor einigen Wochen wurde von katholisches.info das Buch „Murder in the 33rd Degree: The Gagnon Investigation into Vatican Freemasonry“ (Independently published, 2022) vorgestellt, von dem es keine deutsche, aber eine italienische Ausgabe gibt: „Massoneria vaticana. Logge, denaro e poteri occulti nell’inchiesta Gagnon – Freimaurerei im Vatikan. Logen, Geld und okkulte Mächte in der Gagnon-Untersuchung“ (Verona 2023, S. 218, Euro 20).

Prof. Roberto de Mattei schreibt in seiner Einleitung:

„Was sein Buch [des Autors] fesselnd macht, ist nicht nur der angenehme und fesselnde Erzählstil, sondern auch die genaue Beschreibung der Charaktere und vor allem die beunruhigende Geschichte, nämlich die Untersuchung der Freimaurerei im Vatikan, die von einem aufrechten Prälaten durchgeführt wurde. Ich habe einige der in Don Murrs Buch beschriebenen Fakten und Personen gekannt und kann die absolute historische Genauigkeit der Ereignisse, deren Zeuge er war, bestätigen. Sein Buch ist nicht nur eine Erinnerung, sondern ein wertvoller historischer Beitrag zum besseren Verständnis einer komplexen Realität wie der der römischen Kurie.“

Zwischen 1972 und 1974 hatten zwei bedeutende Kardinäle, Dino Staffa und Silvio Oddi, bei Paul VI. wiederholt Kardinal Sebastiano Baggio, Präfekt der Kongregation für die Bischöfe, und Msgr. Annibale Bugnini, Sekretär der Kongregation für den Gottesdienst, beschuldigt, aktive Freimaurer zu sein. Die Infiltration der Freimaurerei in die Zentralregierung der Kirche schien umfassender zu sein, als man es sich hätte vorstellen können.

Auf Vorschlag von Kardinal Benelli beauftragte Paul VI. Msgr. Gagnon mit einer Untersuchung der Römischen Kurie, der sich dieser mit der ihm eigenen Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit widmete. Am 16. Mai 1978 kam es zu einem denkwürdigen Treffen zwischen Paul VI. und Msgr. Gagnon, der ihm das Ergebnis seiner Untersuchung der Römischen Kurie übergab und ihn auf den Ernst der Lage hinwies. Der Papst, müde und leidend, bat Gagnon, die Papiere zu bewahren und sie seinem Nachfolger zu übergeben. Den weiteren Verlauf schildert Murr in einem Zeugnis …

Quelle: katholisches.info

Freimaurerei im Vatikan – ein überzeugendes Zeugnis

Die damaligen rechtgläubigen Hirten der Kirche, Bischöfe und Priester, hätten es vielleicht nicht für möglich gehalten, dass die damaligen Ereignisse nochmals getoppt werden könnten.

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Kathedra Petri – 22. Februar

Überzeugung und Bekehrung

„Es ist sehr schwierig, die anderen zu bekehren, wenn man selbst schon als jemand erscheint, der im täglichen Leben, im praktischen Leben schwach ist.
Man überzeugt zum Beispiel seinen Gesprächspartner nicht, indem man ihn beleidigt, indem man ihn missachtet, indem man ihn beschimpft.
Wenn er aber, im Gegenteil, eine aufrichtige, ernste, übernatürliche, selbstlose Liebe zu ihm wahrnimmt, dann beginnt er, aufmerksam zu werden, denn dann hat er den deutlichen Eindruck:
Der da mit mir spricht, der spricht nicht, um die Oberhand zu behalten und mich zu überzeugen, sondern er will mir tatsächlich eine Wahrheit zeigen, die nicht von ihm kommt und nach der er auch lebt.
Und das ist sehr wichtig.
Die Heiligen haben viel mehr durch ihr Beispiel überzeugt, durch ihr Gebet, durch ihre Abtötung, als durch ihre Worte.“

(Erzb. M. Lefebvre an seine Seminaristen, 1975)

Erzbischof Marcel Lefebvre (1905-1991)

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Früchte des letzten Konzils: Aggiornamento und Abschaffen

Anlässlich der Berichterstattung zum fünfzigsten Jahrestag der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils in der TAGESPOST verfasste Pater Rodrigo Kahl OP einen Leserbrief, der in der Ausgabe vom 15.11.2012 veröffentlicht wurde. Es ist notwendig Zeitzeugen immer wieder zu Wort kommen zu lassen um zu verstehen, was seit dem letzten Konzil geschehen ist und wie es geschehen ist. Mit Erlaubnis des Autors darf sein Leserbrief an dieser Stelle nochmals erscheinen. Vielen Dank!

Aggiornamento Wurde zum „vergifteten“ Begriff

Er wurde als Leitmotiv des Zweiten Vatikanums gehandelt, aber es war von Anfang an ein vergiftetes Wort. Papst Johannes selbst führte es ein, offenbar mit guten Absichten.

Aber die Rezeptionsgeschichte des Begriffs war fatal. Der Papst selbst erschrak darüber und sagte schon nach einem Jahr: Was man jetzt will, ist „ein Aggiornamento, das nur das Leben versüßen oder der Natur schmeicheln will“.

Aber es war bereits zu spät.

Das vergiftete Wort hatte schon Metastasen in den Köpfen der Vielen gebildet:

Glaube und Kirche müssen „modernisiert“ werden, sind der heutigen Welt anzupassen.

Was kann dem „heutigen“ Menschen zugemutet werden oder nicht? Das „Heute“ wurde zum Maßstab und die „moderne“ Welt zur Richterin dessen erhoben, was im katholischen Bereich noch gelten durfte.

Wer nicht bereit war, das mitzumachen, wurde aufgefordert, „umzudenken“ und sich zu „wandeln“.

Ein besonders pikantes Beispiel ist der Stuttgarter Katholikentag 1964, schon fast in der Endphase des Konzils. „Wandelt euch durch ein, neues Denken“ rief das Leitmotiv den Katholiken zu. In der damals herrschenden Stimmung hieß das: Was ihr bisher angenommen und geglaubt habt, gilt nicht mehr. Neue Werte gibt es nun. Wir stehen in einem „Aufbruch“.

Die Welt muss von uns ernstgenommen werden. – Das Pauluswort in dem Leitmotiv wurde regelrecht auf den Kopf gestellt, denn die erste Hälfte des Verses lautet: „Gleicht euch dieser Welt nicht an, sondern wandelt euch …“ Aber diese ersten Worte waren natürlich nicht Teil des Leitworts. Ja, die Umwertung aller Werte! Katholik, „du musst alles vergessen, was du einst besessen!“ Schmunzelnd wandten so Kleriker einen Schlager der 1960er Jahre auf die kirchliche Situation an.

In Klöstern hatte das so verstandene Aggiornamento ganz besonders krasse Auswirkungen. Bis dahin war in der kirchlichen, aber besonders in der klösterlichen Spiritualität vor der Verweltlichung gewarnt worden. Jetzt wurde sie zum Programm. Auf einmal gab es viele Dinge, „die man nicht mehr konnte“. Sie entsprachen nicht der modernen Welt. Wieviel „Unmodernes“ gab es doch in den Klöstern, von der Kleidung, dem Stillschweigen, dem frühen Aufstehen, dem fehlenden Fernseher, dem lateinischen Chorgebet bis in viele Einzelheiten hinein. „Abschaffen“ Leitmotiv in den Klöstern.

Die neue Spiritualität predigte die Verweltlichung als „Chance“. Vieles passte einfach nicht mehr in die Welt von heute, das Unmodische bei den Katholiken: die Beichte, das Latein, dann Gebote, die mir vorschreiben, was ich am Sonntag zu tun oder was ich am Freitag zu unterlassen habe. Weg damit!

Sich auf die Welt „einlassen“: das war nun das neue Leitwort. Dieses Sich-Anlehnen-Können kam anscheinend vielen Klerikern entgegen: „Nachdem wir nicht erreichten, dass die Welt das praktiziert, was, wir lehren, beschließen wir zu lehren, was sie praktiziert“ (das bekannte Wort von Gomez Davila abgewandelt).

Auf dem Bamberger Katholikentag 1966 (es war der erste nach dem Konzil) zeigte sich noch einmal der alte Katholizismus. Man sehe sich im Netz mal die Bilder an mit den nicht zu zählenden Scharen von Ordensschwestern, alle noch im „klassischen“ Ordenskleid!

Dann begann der Katholizismus aus dem Straßenbild zu verschwinden.

Das Programm in den Köpfen fing an zu wirken: wir wollen wie die Welt sein, also wollen wir auch aussehen wie alle Welt.

Es kam zum Rückzug der katholischen Kirche in die Sakristei. In den romanischen Ländern wurde dies noch krasser empfunden, weil dort nicht nur die Ordensleute, sondern jeder Priester immer die Soutane zu getragen hatte.

Fast ein Wunder ist es, dass der Zölibat in einer solchen Atmosphäre sich halten konnte. Aber er ist ein Fremdkörper. Das ist nicht zu verwundern. Wenn alles im Lebensstil und im Kopf (!) auf Angleichung an säkulare Normen hinausläuft, wirkt die priesterliche Ehelosigkeit unpassend, fremd, verfehlt, eben als ein Fremdkörper. Deshalb die nicht enden wollende Diskussion. Wenn die andere, wirklich katholische Spiritualität weiterhin verweigert wird, wird der Zölibat auch fallen. – Dass aber eine große Zahl der jüngeren Priester sich auf das besinnt, was Benedikt XVI. „Entweltlichung“ nennt, ist ein hoffnungsvolles Zeichen.

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Hoffnungen auf den nächsten Papst?

In meinem Pamphlet „Come la Chiesa finì“ („Wie die Kirche endete“) stelle ich mir vor, daß nach einem Franziskus I. ein Franziskus II. kommen wird und dann ein Franziskus III. und so weiter, eine ganze Weile lang. Die klerikale Heuchelei kann grenzenlos sein (möglicherweise werden genau jene, die ihn hassen, imstande sein, Bergoglios Seligsprechung zu fordern), und der Neo-Modernismus besetzt alle Mäander der Institution.
Die Kirche wurde im Fernsehen liquidiert, und der Papst beging live in einer abendlichen Talkshow Selbstmord, um dem Volk zu gefallen. Das ist nur richtig so. Richtig, daß es das Fernsehen war, das ihr Ende im Namen der Einschaltquoten verordnete. Es konnte gar nicht anders sein. Nachdem sich die Kirche an die Welt verkauft hatte, konnte es kein anderes Ende geben, denn das Fernsehen ist Ausdruck und Synthese des Denkens der Welt.
Nur der liebe Gott kann kommen, wann und wie Er will, und die Tafel „The End“ entfernen, um ein neues Drehbuch zu schreiben. Oder ist Er vielleicht schon dabei, es zu schreiben?

Aldo Maria Valli

Die leere Hölle und das Ende der Kirche

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Die traditionelle Liturgie und die Zukunft des Glaubens – (6/6)

(Ausschnitte aus Prof. Dr. Andreas Wollbold –
Die klassische römische Liturgie
und die Zukunft der Kirche)

6. Bislang war ein Großteil der Diözesanpriester, die mit der Zelebration nach dem alten Meßbuch begonnen haben, außerhalb oder am Rande der Pfarrseelsorge angesiedelt: Kapläne, Ruheständler, Kategorialseelsorger oder Professoren.

Großartig wäre es, wenn jetzt auch viele PFARRER die alte Messe entdeckten. Realistisch dürfte es sein, daß sie in einem ersten Schritt die Zelebration erlernen und zunächst nur einfach privat zelebrieren, z.B. am freien Tag, vielleicht mit der Anwesenheit einiger interessierter Gläubiger.

Erst wenn der Ritus für sie selbst durch und durch bedeutsam geworden ist, dürfte der Zeitpunkt gekommen sein, ihn auch öffentlich zu feiern. Das mag mit einem festen Werktag beginnen. Der Monatsanfang mit dem Priesterdonnerstag (Votivmesse von Jesus Christus, dem Hohenpriester), Herz-Jesu-Freitag oder Herz-Mariä-Sühnesamstag bietet sich besonders an, zumal das stets gleiche Formular es auch z.B. für den Choralgesang einfacher macht. Auf jeden Fall braucht es zunächst das geduldige eigene Vertrautwerden mit dem Ritus, seinen Rubriken und seinem Geist. Andernfalls Wird der Ritus innerhalb einer Pfarrei allzu leicht zu einer pastoralen Aktion. Bei entstehenden Widerständen oder eintretenden Enttäuschungen werden dann bald auch wieder die Segel gestrichen. Oder – was noch fataler wäre – man manipuliert am Ritus herum in der Absicht, damit die Gläubigen besser erreichen zu können.

7. Eine schlichte Frage zum Schluß:

Womit hätten wir bei Gott
das Aufblühen der alten Liturgie überhaupt VERDIENT?

Die Frage nach dem Verdienst ist katholisch hochlöblich und erst durch den Protestantismus in Mißkredit geraten. Allein das Gebet und das Opfer sind nach der heiligen Therese von Lisieux der archimedische Hebel, der die Welt aus den Angeln heben kann. Wir können nicht ernsthaft meinen, die Krise des Glaubens und der Kirche mit Aktionen zu beheben. Nur dort, wo großherzig geopfert wird, wo treu die Werke der Barmherzigkeit geübt werden, wo das Kreuz tapfer getragen wird, wo Sühne kein Fremdwort bleibt, wo vor allem Priester sich am Maximum und nicht am Minimum orientieren, also kurz wo die „Früchte der Umkehr“ (vgl. Lk 3,8) erbracht werden, da mag es sein, daß sich Gott unser erbarmt. Frühere Jahrhunderte haben oft Unvorstellbares getragen, ja gelitten um Christi willen, von den großen Ordensgründern bis hin zu den unbekannten kleinen Seelen.

Wie sollte eine Wende auch nur möglich sein, wenn von links bis rechts in der Kirche der erstaunliche
Konsens herrscht: Es darf nur nicht zu viel kosten!

Beim Tod Kardinal Newmans rief Kardinal Manning aus:
„We have lost our greatest witness of faith.
Wir haben unseren größten Glaubenszeugen verloren.“

Der Selige wurde nicht durch seine Geistesgaben und auch nicht durch seine vielen Bücher und Artikel zum größten Glaubenszeugen, sondern dadurch, daß er getreu und unter großen Opfern und von Verleumdungen verfolgt den Weg ging, den die Gnade ihm zeigte: hin zur Tradition, hin zur ganzen Tradition, hin zu dem, was immer und überall die Kirche getragen hat und wofür allein Rom der Garant ist. Wie er können wir bekennen:

Diese Tradition rettet, und sie ist die Zukunft der Kirche.

(aus: Dominus vobiscum Nr. 3, 2011)

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Die traditionelle Liturgie und die Zukunft des Glaubens – (5/6)

(Ausschnitte aus Prof. Dr. Andreas Wollbold –
Die klassische römische Liturgie
und die Zukunft der Kirche)

3. Initiative der Vielen auf vielen Ebenen.

Der heilige Robert Bellarmin weist im Geleitwort zu seinen Kontroversen darauf hin, „daß es der Sache der Kirche nicht nur nicht schadet, sondern auch nützt, wenn in dieser Zeit sehr viele [für die gute Sache] schreiben.“

Ja, nach dem heiligen Augustinus gelte, daß „alle, die nur immer mit der Fähigkeit zu schreiben begabt sind, schreiben sollten, nicht nur über dieselben Dinge, sondern auch dasselbe – wohl mit anderen Worten. Es ist nämlich nützlich, damit die Irrlehrer zur Einsicht gelangen, daß es im Lager der Katholischen nicht nur den einen oder anderen gibt, sondern daß es viele sind, die es wagen, ihnen die Stirn zu bieten.“

Weithin herrscht in der Kirche der Eindruck vor, die Freunde der alten Liturgie seien ein versprengter Haufen, Dinosaurier, die es eigentlich ja gar nicht mehr gibt. Umso wichtiger ist es, in Sachen alte Liturgie immer wieder „Hier!“ zu rufen und öffentlich zu bekennen: „Ich bin auch einer von seinen Jüngern!“

Ganz besonders darf man sich von Professoren, Journalisten und Menschen des Geistes und der Feder unüberhörbare Bekenntnisse und Begründungen dafür wünschen, daß diese Liturgie die Zukunft der Kirche prägen wird. Gerade junge Menschen wollen dort mitwirken, wo sie etwas am Wachsen sehen, nicht wo es nicht mehr weit bis zur Grabesruhe ist.

Freilich noch ein Hinweis zu den Wortmeldungen. Das traditionsverbundene Milieu in Deutschland zeichnet sich m.E. durch eine ausgesprochene Lust am Negativen aus. Man kann die Entdeckerfreude regelrecht mit Händen greifen, mit denen wieder einmal eine unmögliche Faschingsmesse entdeckt oder eine ZdK-Verlautbarung zerpflückt wird. Wie berechtigt manche Kritik ist, steht außer Frage.

Aber schon der heilige Thomas von Aquin lehrt, daß der Zorn vom Positiven lebt, von der Bejahung des Wahren, Guten und Schönen. „Was kümmert es die deutsche Eiche, wenn das Schwein sich an ihr kratzt?“, dieses etwas deftige Wort drückt genau das Gemeinte aus. Manche unserer Veröffentlichungen, manches Gespräch unter traditionsverbundenen Priestern und Laien wirkt dagegen eher wie ein Horrorbuch mit endlos vielen Kapiteln, eines garstiger als das andere, und man fragt sich, welche eigen artige Lust sie dazu treibt, immer wieder die Mißstände in den Blick zu nehmen. Wie auch immer, die Lust am Negativen ist die beste Medizin dafür, auf Dauer marginal zu bleiben.

4. Wie wirkt die faktische Feier nach dem alten Meßbuch auf einen Außenstehenden, auf jemanden, der nicht zum coetus gehört? Fremd, gewiß, so sagten wir, aber ist es faszinierend fremd oder abweisend fremd?

Häufig erscheint sie wie das Tun Eingeweihter: Alle wissen Bescheid, wissen, wann sie stehen oder knien, haben die Bändchen an den richtigen Stellen im Schott eingelegt und können sich gar nicht mehr vorstellen, wie das ist, wenn man zum ersten Mal dabei ist. Eine solche Feier aber ist höchstschwellig, d.h. es kostet einen Neuling sehr viel an Überwindung, daran teilzunehmen. Dieser Eindruck mag nicht selten durch die Umstände bedingt sein: Welche Kirchen, welche Zeiten und welche Bedingungen werden unseren Gottesdiensten oft zugemutet!

Dennoch, wir haben oft noch keine Kultur des accueil, also von Empfang und Willkommen entwickelt. Verwandtschaft und Bekanntschaft sind auch heute noch die besten missionarischen Brücken. Wie lassen sie sich besser bevölkern? Vor allem erwecken wir nicht selten den Eindruck, das Ideal der alten Liturgie sei die Gemeinschaftsmesse: Jeder Gläubige weiß genau, was er wann zu tun hat, so als wären alle Ministranten. Da kann sich ein Neuling nur fremd, ja wie ausgeschlossen vorkommen. Aber das ist kein Ideal, sondern ein Grenzfall. Denn je wichtiger Gemeinschaft wird, desto leichter gibt es auch Ausgeschlossene.

5. Alte Liturgie ist nicht nur Messfeier. Insbesondere das officium divinum bildet das würdige Pendant dazu. Vor allem die Vesper am Sonntag war vielerorts bis vor wenigen Jahrzehnten fest im liturgischen Leben der Pfarreien verwurzelt. Sie läßt sich wiederbeleben nicht zuletzt auch dort, wo eine Meßfeier bis her noch auf zu viel Widerstand gestoßen ist.

(aus: Dominus vobiscum Nr. 3, 2011)

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Die traditionelle Liturgie und die Zukunft des Glaubens – (4/6)

(Ausschnitte aus Prof. Dr. Andreas Wollbold –
Die klassische römische Liturgie
und die Zukunft der Kirche)

Was ist zu tun?

Wer die Entwicklung der klassischen römischen Liturgie nach dem Motuproprio „Summorum pontificum“ verfolgt hat, wird die letzten dreieinhalb Jahre in zwei deutlich unterschiedene Phasen einteilen: zunächst eine deutliche Zunahme von Meßorten und Teilnehmerzahlen, dann aber auch eine gewisse Stagnation auf etwas höherem, aber immer noch recht bescheidenem Niveau.

Dazu kommt, daß die Probleme fast überall die gleichen geblieben sind wie zuvor. Die Akzeptanz, allein auch nur das Verständnis für die alte Liturgie ist nicht wirklich gewachsen. Nun sind die Freunde der alten Liturgie gewohnt, „dicke Bretter zu bohren“ (Max Weber). Was ist also zu tun? An sieben Stellen könnte der Bohrer angesetzt werden.

1. Heiliger Eifer

Wenn es noch eines Indizes bedurfte, so haben die vergangenen Monate bloßgelegt, wie tief die Kirchenkrise geht. Es handelt sich letztlich um eine Glaubenskrise. Sie hat beinahe die Gesamtheit der Gläubigen, ja auch der Hirten, erfaßt.

Geradezu mit chirurgischer Präzision hat bereits vor 400 Jahren der heilige Robert Bellarmin bloßgelegt, worin sie immer ihre Ursache hat: Nicht in intellektuellen Problemen, sondern in der Vernachlässigung eines Lebens, das dem Glauben entspricht.

Dies verdichtet sich noch einmal in der Nachlässigkeit gegenüber Liturgie und Sakramenten: „Bruder, willst du den Glauben an die Sakramente nicht verlieren?

Dann ehre die Sakramente, gebrauche die Sakramente, komm‘ häufig und von ganzem Herzen zur Beichte und empfange die heiligen Geheimnisse! Willst du den Glauben an das Fasten […] nicht verlieren? Dann liebe das Fasten […]! Wenn nicht, wäre es dann verwunderlich, wenn Gott dich im Glauben Schiffbruch erleiden ließe?“

Ist es nicht so – so der gelehrte Prediger weiter -, daß unsere Taten die Worte entleeren? Wir behaupten, die Eucharistie sei die Quelle der Gnade und alles Guten, aber dabei sind die Altäre vielerorts verstaubt und voll Spinnweben, Kelchwäsche und Kelche geradezu abstoßend schmutzig, und die Priester zelebrieren so rasch, unfromm und kalt,
„daß sie allen offensichtlich zurufen, sie glauben weder an Christus noch an die Gegenwart der Engel. […]
Wenn das so ist, dann wundert euch nicht, wenn das Reich Gottes euch genommen und anderen gegeben wird, die in jüngster Zeit im Osten und im Westen und in der Neuen Welt zum Glauben gekommen sind!
Denn Gott geht so mit uns um und spricht:
Ihr verachtet die Beichte? Dann nehme ich euch das Sakrament der Buße weg!
Ihr verachtet die Eucharistie? Dann nehme ich sie euch weg!
Ihr verachtet die Priester? Dann nehme ich euch die Priester weg!
Denn ihr verhaltet euch so, als ob all das nichts wäre, und ich lasse es zu, daß dann Leute kommen, die auch ausdrücklich behaupten, dies sei nichts. Und sie werden euch zu eurem Verderben und eurem Untergang davon überzeugen! Ich will das geringe Licht, das ihr in euch habt, auch noch auslöschen und es dulden, daß die Finsternisse euch ergreifen.“

In einer solchen Krise genügt es nicht, recht zu haben. Wie bei Newman geht es nicht nur darum, welche der kirchlichen Parteien sich durchsetzt und die Macht erringt. Nein, Nachlässigkeit wird nur durch Eifer überwunden.

Eifer aber ist im Kern der Eifer in der eigenen Heiligung. Bei aller Ehrfurcht vor den heiligen Riten, ein gesetzt sind sie ganz nüchtern als „instrumenta salutis“, als Heilswerkzeuge, und darum nützen sie nur demjenigen recht, der mit ihrer Hilfe auch Fortschritte macht. Wenn also unsere Feier der traditionellen Liturgie nicht zuerst und vor allem dem Fortschritt in Glauben, Hoffnung und Liebe dient, dann fehlt ihr das Herz.

Wird der Herr der Geschichte sie uns dann nicht auch wieder wegnehmen? Martin Mosebach ist nachdrücklich zuzustimmen, wenn er sagt: „Und alles Große in der Kirchengeschichte ist entstanden wegen solcher Menschen, die sich überhaupt nicht gekümmert haben um die Zukunft der Kirche, sondern darum, Christen zu sein, jetzt.“

2. Seelsorge

Wir brauchen die Verbindung der Liturgie mit der Seelsorge. Aus Meßorten müssen Seelsorgeorte werden. Wir haben eben von der prophetischen Kraft der alten Liturgie gesprochen, davon, daß sie den Zustand des Glaubens bloßlegt. D.h. aber auch, daß die heilige Messe die vollständige Katechese voraussetzt.

Aus diesem Grund wurden im christlichen Altertum die Katechumenen vor der Opferung aus dem Kirchenraum weggeführt. Erst wenn die Vorbereitung sakramental abgeschlossen war, waren sie überhaupt fähig, am Meßopfer teilzunehmen. Man sieht das etwa an dem lateinischen Vortrag auch der Epistel und des Evangeliums. Manche meinen: „Wenigstens das könnte doch auch stets nur muttersprachlich vorgetragen werden, dann verstehen es die Gläubigen doch sofort.“ Nein, in Katechese und Seelsorge haben sie das Wort Gottes bereits gehört und gläubig in sich aufgenommen.

Das Kennenlernen haben sie bereits hinter sich. Nun gilt es, mit dem Erkannten auch zu wirken. In der heiligen Messe können sie somit mit dem eigenen Glauben unterstreichen, daß dieses Wort Gottes feierlich vorgetragen wird als Licht der Welt und als Waffe gegen die Mächte der Finsternis – darum ja die Lesung des Evangeliums in Richtung finsterer Norden, wo niemals die Sonne scheint. Die heilige Messe ist also vor- aussetzungsvoll, und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dazu ist die Seelsorge da. Ja, diese Meß-Vorbereitung und Seelenführung ist heute nicht weniger nötig, sondern eher noch viel mehr als im christlichen Altertum:

– Nur wer in Glaube und Moral vorbereitet ist, kann fruchtbar am Meßopfer teilnehmen. Wo z.B. eine klare moralische Führung insbesondere junger, am Ritus interessierter Menschen fehlt, kommt es hier und da zu geradezu spektakulären Fällen der Doppelmoral, die ein Freund mit dem Bonmot quittierte: „Die Liturgie von Trient und die Moral des Dritten Vatikanums!“ Der Verlust der engen Verbindung von Beichte und Messe darf nicht nur immer wieder lautstark beklagt werden, sondern das Bußsakrament muß an unseren Orten mehr und mehr zur Selbstverständlichkeit werden – auch unter den jüngeren Freunden der alten Liturgie!

– Die Zusammensetzung und Motivation der traditionsverbundenen Gläubigen und Priester ist recht unterschiedlich. Unter jüngeren Menschen ist ein erstaunliches Interesse zu verzeichnen, auch unter Theologiestudenten gleich welchen Berufsziels. Überdurchschnittlich stark finden sich Interessierte unter Akademikern. Dennoch sind sie alle auch auf Seelsorge, also insbesondere Verkündigung und Seelenführung, angewiesen, damit sie in und mit der Kirche ein angemessenes christliches Leben führen können. Viele von ihnen finden in ihren Pfarreien häufig nicht die Seelsorge, die sie suchen und brauchen. Nicht wenige setzen an deren Stelle eigene Netzwerke oder schaffen sich private Räume des Glaubens; das ist oft geradezu heroisch, aber es kann doch nicht den Normalfall kirchlichen Lebens darstellen.

– Überhaupt erschöpft sich kirchliches Leben nicht im Gottesdienst. Man kann nicht die Sakramente eben einmal „mitnehmen“ und dann wieder „abtauchen“. Das ist schon bei Taufe, Erstkommunion oder Firmung in vielen Pfarreien ein Unding, es ist aber nicht weniger ein Unding bei den Zuständen unserer Meßorte, wie sie dort gezwungenermaßen oft herrschen: Der Priester fliegt ein, räumt rasch das Notwendigste im Altarraum um, dann geht es los, und nach dem Ende verabschiedet man sich nur noch rasch bis zum nächsten Mal.

Leider kann bisher an nicht wenigen Meßorten keine ausreichende Seelsorge stattfinden. Die Gläubigen kommen zur heiligen Messe wie zu einem Angebot und gehen danach wieder nach Hause. Nur ein Kern schon lange verbundener Gläubiger nimmt auch z.B. an Vorträgen teil. Vielleicht werden auf Anfrage andere Sakramenten feiern wie eine Taufe vermittelt. Zudem erscheinen die verschiedenen Gruppierungen und Gemeinschaften der Freunde der alten Liturgie recht versprengt; gemeinsames, effizienzorientiertes Handeln ist die Ausnahme. […]

(aus: Dominus vobiscum Nr. 3, 2011)

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Die traditionelle Liturgie und die Zukunft des Glaubens – (3/6)

(Ausschnitte aus Prof. Dr. Andreas Wollbold –
Die klassische römische Liturgie
und die Zukunft der Kirche)

Rettende Elemente der alten Liturgie

Lassen sich nun noch einige konkrete Elemente der alten Liturgie finden, die nur sie zur Zukunft des Glaubens beitragen kann? Es gibt viele, aber an dieser Stelle seien drei der wichtigsten genannt: die Freiheit der Gläubigen und die Bindung des Klerus, die prophetische Kraft und die Schule der Demut.

1. DIE FREIHEIT DER GLÄUBIGEN UND DIE BINDUNG DES KLERUS

Die klassische Liturgie ist nicht klerikal, sondern das Gegengift zu allem Klerikalismus. Denn je höher jemand in der Hierarchie steht, umso enger ist er in ihr gebunden. Die Gläubigen sind frei, sie können im Gottesdienst weithin machen, was sie wollen, wenn es nur fromm ist und die anderen nicht stört. Es gibt keine Rubriken für die Laien – diese hat erst „Sacrosanctum Concilium“ gefordert – [In der Liturgie soll außer den Auszeichnungen, die auf dem liturgischen Amt oder der heiligen Weihe beruhen, und außer den Ehrungen, die auf Grund liturgischer Gesetze der weltlichen Autorität zukommen, weder im Ritus noch im äußeren Aufwand ein Ansehen von Person oder Rang gelten. – SC 32].

Die alte geistliche Unbekümmertheit in den Kirchenbänken ist uns leider abhanden gekommen, und nicht wenige Teilnehmer fragen sich stattdessen ängstlich:

„Wann soll ich denn aufstehen, was habe ich mitzubeten?“ Die Antwort ist einfach:
„Achte auf die großen Linien – z.B. zum Evangelium zu stehen und zum Kanon zu knien -, störe niemanden in seiner Andacht, und ansonsten kannst Du es halten, wie Du möchtest!“ Dazu kommt:

Der Priester darf die Gläubigen niemals anschauen, zu nahe würden ihm Kontrolle und Gängelei der Anwesenden liegen. Nicht zuletzt aus diesem Grund dürften sich so viele Menschen von der heiligen Messe abgewandt haben, weil die Überbetonung von Gemeinschaft, ja einem uniformen Mittun, und der fehlende Raum für das individuelle Dasein, auch für die wohltuende Distanz von den anderen, ihnen seltsam unangemessen für ein heutiges Empfinden vorkam.

Und sie haben recht! Der Gemeinschaftsgedanke stand in den 20er Jahren in Blüte und bildete eine neuromantische Reaktion auf die Individualisierung. „Vom Ich zum Wir“, dieser Slogan entfaltet heute dagegen eine eher abschreckende Wirkung.

Mit der Freiheit der Gläubigen kontrastiert aber scharf die Bindung des Klerus. Lassen die Rubriken bei den Ministranten noch einigen Spielraum, so ist der höhere Klerus am Altar bis in die kleinste Kleinigkeit hinein gebunden. Beim Pontifikalamt wird dem Bischof sogar noch ein eigener Beistand gegeben, der „presbyter assistens“, der ihm aber auch nicht eine Spur von Freiheit läßt! Vor Gott wird der bischöfliche Hohepriester also wie ein Primiziant behandelt, sein Ehrenvorrecht ist auch seine Fessel! „Wer bei euch der Erste sein will, der soll euer Sklave sein“, dieses Wort des Herrn geht am Altar in Erfüllung (Mt 20,27).

2. DIE PROPHETISCHE KRAFT

Jede Feier der alten Liturgie stellt allen Teilnehmern die Frage Jesu an Marta: „Glaubst du das?“ (Joh 11,26). Der Ritus bringt es an den Tag, ob Priester und Gläubige ihr Herz zu Gott erheben, ob sie beten, ob sie ihren Sinn vom Sichtbaren zum Unsichtbaren hinwenden oder nicht. Fehlt der Glau be, dann wird das Schweigen lähmend, das Latein be fremdlich, das Geschehen am Altar klerikal und das Ganze im Höchstfall ein wenig Traditionspflege. Selbst ein Atheist würde, so meine ich, augenblicklich feststellen, wes Geistes Kind die Anwesenden sind.

So ist der Ritus ein Prophet, also einer, der Priester und Volk im Namen Gottes auf Herz und Nieren prüft und aufdeckt, wo sie stehen. Daß die heilige Messe mit dem Psalm „Judica me“ eröffnet wird, drückt ja gerade diese Bereitschaft aus, sich dem Gericht Gottes zu unterstellen. Nun ist aber die cognitio sui, die Selbsterkenntnis, nach alter Lehre der Grundstein allen geistlichen Lebens.

Wer die Prüfung seiner selbst unterläßt, wer allzu rasch zu Angenehmerem übergehen will, der hat sein Haus auf Sand gebaut (vgl. Mt 7,24-27). Ist es aber nicht gerade das, woran es in der Kirche derzeit am meisten fehlt: Selbsterkenntnis, einschließlich der Bereitschaft zu Reue und Vorsatz? Schuldbekenntnisse sind zwar geradezu in die Mode gekommen, aber interessanterweise werden durchweg nur die Sünden der anderen bekannt.

Wo hingegen findet sich unter den unendlich kirchlichen Verlautbarungen einmal eine realistische Bestandsaufnahme zu den Früchten der Katechese, zur Glaubenstreue kirchlicher Angestellter oder zu den massiven Verletzungen der liturgischen Ordnung?

3. DIE SCHULE DER DEMUT

Hochmut, sein wollen wie Gott, ist die Ursünde: „Eritis sicut Deus scientes bonum et malum. – Ihr werdet sein wie Gott und Gut und Böse wissen“ (Gen 3,5). Darum gibt es auch keine Heilung von ihr als durch Demut. Sie ist das A und O allen christlichen Lebens. Nie war sie selbstverständlich, die Gegenwart aber tut sich ganz besonders schwer mit dieser Haltung.

Denn wann wäre der „homo mensura“-Satz des Protagoras – „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“ – mehr zur allgemeinen Maxime erhoben worden als heute? Das gilt nicht weniger für Glauben und Liturgie. Wenn die Krise des Modernismus darin bestand, objektive Wahrheit in subjektive Erfahrung zurückzunehmen, dann hat der Modernismus heute auf breiter Front gesiegt. Es gibt keine „Wahrheit an sich“ mehr, sondern nur noch „Wahrheit für mich“. Wer aber in die alte Liturgie tritt, betritt sie als Sünder und als Bettler:

Bereits das Stufengebet klärt hier die Verhältnisse ein für alle Mal. Alles ist Dienst Gottes, von dem der Mensch nichts für sich abzweigen will: Proklamation, Anbetung, Darbringung, Opfer und Verdemütigung, sind die dominanten Akte, und alles „pro me“ darin entquillt nur aus dem Überfluß des „pro te“. Ein schönes Indiz dafür ist die Kommunion der Gläubigen. Obwohl sie für diese den Höhepunkt darstellt, die sakramentale Vereinigung mit dem Herrn, gibt es dafür im ordo missae keine eigenen Rubriken, sondern nur im „Rituale Romanum“.

Es gibt auch kein „Muß“ der sakramentalen Kommunion in jeder heiligen Messe. Wie oft ist man gerade über die alte Praxis der Kommunionspendung hergezogen, hat sie als defizitär und als Verkümmerung gedeutet! Nein, es steckt im Gegenteil eine tiefe Weisheit dahinter, die höchste Gabe Gottes mit der größten Demut des Gläubigen zu verbinden. Er empfängt den Leib Christi doch immer nur wie die heidnisch-kanaanäische Frau, wie „die Brotreste, die vom Tisch ihrer Herren fallen“ (Mt 15,27). Geradezu verstohlen im Gesamt der Liturgie drängen sich die Gläubigen also nach vorn und empfangen die heilige Speise, die ihnen doch so notwendig ist.

(aus: Dominus vobiscum Nr. 3, 2011)

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Die traditionelle Liturgie und die Zukunft des Glaubens – (2/6)

(Ausschnitte aus Prof. Dr. Andreas Wollbold –
Die klassische römische Liturgie
und die Zukunft der Kirche)

Statistisch mußte die katholische Kirche in diesen Jahren ihr blaues Wunder erleben: Weder bei den Gottesdienstbesucherzahlen noch bei der persönlichen Glaubensüberzeugung oder auch nur beim Ansehen der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit ist irgendein positiver Nachkonzilseffekt nachzuweisen. Ganz im Gegenteil: Die großen Absetzbewegungen – der jüngeren Generation vom Gottesdienst, der Priester vom Amt, der deutschen Leitkultur vom Christentum, der Unantastbarkeit des Lebens – stehen in einem auffälligen Zusammenhang mit dieser Zeit.

Wohlgemerkt, eine aufmerksame und ausgewogene Lektüre der Dokumente des II. Vatikanums hätte die Kirche in eine ganz andere Richtung geführt. Man kann etwa Teile von „Sacrosanctum Concilium“ mit Gewinn zur Meßvorbereitung nach dem Missale von 1962 lesen. Aber es gehört zur Tragik dieser Zeit, daß der „Geist des Konzils“ als anthropologische Wende mißverstanden wurde: Jetzt stand der Mensch im Mittelpunkt, das, was er will, und das, womit er etwas anfangen konnte. Alles andere galt leicht bloß als Ballast.

Kurz: Wo alle Fremdheit vertrieben wurde, blieb oftmals nur noch das Banale zurück. Aus dem „ad maiorem Dei gloriam (zur höheren Ehre Gottes)“ wurde das „ad maiorem hominis utilitatem (zum größeren Nutzen des Menschen)“. Nur ein Indiz dafür: In einer Studie zur liturgischen Predigt nach dem II. Vatikanischen Konzil ist Norbert Weigl u.a. zu dem überraschenden Ergebnis gekommen, daß die stürmischen nachkonziliaren Reformen und die Einführung des Meßbuchs Pauls VI. nur für kurze Zeit die Aufmerksamkeit der Prediger auf sich ziehen konnten. Ganz offensichtlich dachte man: Jetzt ist doch im Gottesdienst alles einfach und klar. Jetzt braucht man ihm gar nicht mehr viel Beachtung zu schenken. Sprach man zuvor noch von der „Messe in der Betrachtung“, so stellte sie jetzt eher Material zur Veränderung dar.

Tradition als Rettung, ja, jeder gebrauchend-verbrauchenden Nutzung entzieht sich nichts so sehr wie die alte Liturgie. Mit jenem berühmten Rilke-Wort vom archaischen Torso des Apoll fordert sie vielmehr den Betrachter auf: „Du musst dein Leben ändern.“ Participatio actuosa geschieht hier viel radikaler als durch die Übernahme verschiedener liturgischer Dienste oder das Mitmachen bei Gebeten und Gesängen.

Participatio bedeutet der klassischen Liturgie, die Welt Gottes einzutreten, die so ganz anders ist als die Welt der Menschen – und die doch gerade so die Bestimmung des Menschen ist, der hier auf der Erde nicht seine Heimat hat, sondern ein Pilger bleibt.

Gott ist totaliter aliter, und das Gewand dieses Ganz-Anderen ist die Liturgie. Der klassische römische Ritus vermag es, die Menschen emporzuziehen, über sich selbst hinauszuführen zu dieser ihrer Bestimmung, Frucht zu bringen durch Verwandlung.

(aus: Dominus vobiscum Nr. 3, 2011)

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