Was wäre, wenn auf der Welt die Sonne nicht schiene?
Es gäbe nur noch Finsternis, Schrecken, Unfruchtbarkeit und Elend.
Und was würde aus uns ohne das heilige Messopfer?
Wir wären eines jeglichen Gutes beraubt, allen Übeln und allen Pfeilen des Zornes Gottes ausgesetzt.
Man wundert sich, dass Gott gewissermaßen seine Art und Weise, die Menschen zu regieren, geändert hat.
Einst nahm er die Bezeichnung „Gott der Heerscharen“ an, sprach er zu den Volksmassen aus den Wolken, den Blitzstrahl in der Hand, und bestrafte alle Vergehen mit rigoroser Gerechtigkeit. Für einen einzigen Ehebruch ließ er fünfundzwanzigtausend Mann des Stammes Benjamin durch das Schwert töten, für die Sünde des Hochmuts, die David beging, indem er die Zählung seines Volkes veranstaltete, raffte er in kurzer Zeit sechzigtausend Personen durch die Pest hinweg. Für einen neugierigen und unehrerbietigen Blick auf die Bundeslade von Seiten der Bethsamiter ließ er mehr als fünfundzwanzigtausend von ihnen niedermetzeln.
Und jetzt erträgt er geduldig nicht nur die Eitelkeiten und Leichtfertigkeiten, sondern sogar die frevlerischsten Ehebrüche, die größten Schändlichkeiten und die entsetzlichsten Gotteslästerungen, die so viele Christen jeden Augenblick gegen seinen heiligen Namen ausstoßen.
Woher kommt dieser Unterschied in der Art der Führung der Menschen? Sind denn die Werke unserer Undankbarkeit heute entschuldbarer als einst?
Wer wollte dies zu behaupten wagen? Die unermesslichen Wohltaten, die wir empfingen, machen uns im Gegenteil in unvergleichlich höherem Grad schuldig. Das Geheimnis einer so rührenden Milde, – der Grund dafür, – geht vom Altar aus; er ist im Opfer des für uns bei der heiligen Messe hingegebenen Jesus, der unser Sühneopfer geworden ist, zu suchen. Ja, hier ist die Sonne der katholischen Kirche, welche die Wolken zerteilt und dem Himmel seine Heiterkeit zurückgibt; hier ist der Regenbogen, der die Unwetter der Ewigen Gerechtigkeit besänftigt. Was mich betrifft, zweifle ich kaum daran: Ohne die heilige Messe wäre die Welt zur gegenwärtigen Stunde schon in den tiefsten Abgrund gestürzt, dahin gebracht vom furchtbaren Gewicht so vieler Missetaten. Da ist die Messe der siegreiche Rettungsanker, der sie noch hält. Sehen Sie also nun ein, wie unerlässlich für uns das göttliche Opfer ist!
Zu wenig wäre es aber, dies zu begreifen, verstünde man nicht, in ihm zu suchen, was es uns bietet. Wenn wir die heilige Messe besuchen, wollen wir nachahmen, was der große Alfonso von Albuquerque, einer der Entdecker Amerikas, tat: Der Geschichtsschreiber Osorio erzählt, dieser berühmte Kapitän habe, als er sich mit einem Teil seiner Armee auf einem Schiff befand, das die tobenden Gewalten des Meeres dem Untergang zutrieben, ein kleines Kind, das dabei war, in die Arme genommen, es zum Himmel emporgehoben und ausgerufen: „Wenn wir auch Sünder sind, o mein Gott, so hat dieses unschuldige Geschöpf dich doch noch niemals beleidigt. Im Namen seiner Unschuld schone die Schuldigen!“ Da ereignete sich etwas Wunderbares: Der Blick des Herrn verweilte mit Wohlgefallen auf dem Kind, der Ozean beruhigte sich, die Gefahr schwand und die Mannschaft vertauschte ihre Todesängste gegen Freudenrufe und Danksagungen.
Was wird Gott Vater wohl für uns tun, wenn der Priester in dem Augenblick, da er die heilige Hostie zu ihm emporhebt, ihm in ihr seinen Sohn, die unvollkommene Unschuld, zeigt, emporhebt, aufopfert?
Wird seine Barmherzigkeit uns wohl irgendetwas abschlagen können?
Wird sie dieser inständigen Bitte widerstehen können, die Fluten, die uns bedrängen, nicht zu beruhigen, all unseren Nöten nicht zu Hilfe zu kommen?
Ohne dieses wunderbare göttliche Opfer, für uns zunächst am Kreuz hingeopfert, dann täglich auf unseren Altären, wäre alles zu Ende, alle wäre verloren und jeder von uns könnte zu seinem Bruder im Sterben sagen: „Auf Wiedersehen in der Hölle! Die Hölle wird uns vereinen!“
Nun aber, reich geworden durch diesen Schatz, die Frucht der heiligen Messe in Händen, strömt in uns ein Übermaß von Hoffnung. Das Paradies ist unser, nur eines könnte uns daraus vertreiben: unsere ausgemachte Bosheit. Verehren wir daher liebevoll die heiligen Altäre! Umhüllen wir sie mit Weihrauch und Wohlgerüchen; umgeben wir sie jedoch vor allem mit Verehrung und Hochachtung, denn sie verhelfen uns zu so vielen und kostbaren Gütern.
Warum tut ihr es nicht den Engeln gleich, die nach den Worten des heiligen Chrysostomus während der Feier der heiligen Messe in Scharen vom Himmel herabkommen, und die in heiliger Ehrfurcht im Altarraum verweilen, wo sie auf den Beginn der Messe warten, um für uns erfolgreiche Fürbitte einlegen zu können: Denn sie wissen genau, dass dies die gelegenste Zeit und der günstigste Augenblick ist, um die Gnaden des Himmels zu erlangen.
So selten und kostbar er tatsächlich auch sein mag, ein Schatz kann nur die gebührende Beachtung finden, insofern man ihn kennt. Hier liegt zweifelsohne der Grund, warum das hochheilige Opfer der Messe von einer großen Zahl von Christen durchaus nicht die seinem wirklichen Wert entsprechende Hochschätzung erfährt; es ist der schönste Reichtum, der göttlichste Ruhm der Kirche Gottes; aber es ist ein verborgener Schatz, den zu wenige kennen. Wüssten alle, um welch eine Perle des himmlischen Paradieses es sich hier handelt, es fände sich auf Erden kein einziger Mensch, der nicht gern alles, was er hienieden besitzt, dafür hingeben würde!
Wissen wir eigentlich, was die heilige Messe wirklich ist? Sie ist nichts weniger als die Sonne des Christentums, die Seele des Glaubens, das Herz der Religion Jesu Christi. Alle Riten, alle Zeremonien, alle Sakramente beziehen sich darauf. Sie ist mit einem Wort die Zusammenfassung all dessen, was es an Schönem und Gutem in der Kirche Gottes gibt. Dieses Opfer ist wahrhaft das verehrungswürdigste und vollkommenste; und damit ein solcher Schatz die Hochachtung erhalte, die er verdient, wollen wir hier in wenigen Worten eine seiner großen Qualitäten in Augenschein nehmen. Eine, sage ich, denn alle zu umfassen, wäre ein für den menschlichen Verstand unmögliches Unterfangen.
Die heilige Messe ist „das größte Wunder der göttlichen Allmacht“. Vielleicht sind wir erstaunt über dieses Wort, die heilige Messe sei ein Werk voller Wunder. Ist denn die durch die Worte des Priesters, eines schlichten Sterblichen, bewirkte Wandlung nicht in der Tat ein all unseres Staunens wertes Wunder? Wer, nicht nur unter den Menschen, sondern auch unter den Engeln, kann eine solche Macht erklären?
Wer könnte sich vorstellen, dass die Stimme eines Menschen, der nicht einmal die Kraft besitzt, einen Strohhalm von der Erde hochzuheben, ohne ihn mit der Hand zu ergreifen, von Gott die wunderbare Vollmacht erhalten hat, den Sohn Gottes selbst vom Himmel auf die Erde herabkommen zu lassen? Dies ist eine Gewalt, größer als Berge zu versetzen, das Meer auszutrocknen und die Himmel zu erschüttern. Die Worte, die der Priester bei der Konsekration ausspricht, sind in einem gewissen Sinn ebenso mächtig wie jenes erste Fiat, mit dem Gott alle Dinge aus dem Nichts hervorholte; es scheint sogar, dass sie noch jenes zweite Fiat übertreffen, mit dem die heilige Jungfrau in ihrem Schoß das Ewige Wort empfing.
(Msgr. Georg Zinnbauer, Regensburg. – 20.01.1938–18.10.2022)
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