EIN MENSCH WIRD FERTIG MIT GOTT

„Wir haben nur einen Grund traurig zu sein,
– daß wir nicht heilig sind.“

(Leon Bloy)

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Hinweis zum Buch

PATER M. RAYMOND

EIN MENSCH WIRD FERTIG MIT GOTT
Vom Cowboy zum Trappisten

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Der Trappistenautor Pater M. Raymond (Joseph David Flanagan, 1903-1990) trat 1936 in das Trap-pistenkloster Unsere Lieben Frau von Gethsemani in Kentucky ein. Er verfasste zahlreiche Bücher, die z. T. ins Deutsche übersetzt wurden. Bekannt sind „Die drei Rebellen“ über die Anfänge des Zister-zienserordens in Citeaux und „Die weißen Mönche von Kentucky“, ein Buch, in dem der Autor die Entstehungsgeschichte seines Klosters beschreibt. In Gethsemani war Pater Raymond Zeitgenosse seines berühmteren Mitbruders Pater Louis (Thomas Merton), der ihn jedoch als Autor nicht schätzte.

1941 veröffentlichte Pater Raymond sein Buch „The man who got even wich God“. Es handelt sich um eine romanhafte Biografie des zwei Generationen vor ihm im selben Kloster lebenden Laienbruders Joachim, der als John Green Hanning (1849-1908) nur unweit der Trappistenabtei in Kentucky aufgewachsen ist. Das Buch ist in den USA vielfach nachgedruckt worden. Es wurde auch in viele Sprachen übersetzt und hat sogar in Deutschland mehrere Auflagen erfahren. Sein deutscher Titel lautet: „Ein Mensch wird fertig mit Gott. Vom Cowboy zum Trappisten“.

Mit den aufgeklärten Augen der heutigen Zeit gelesen handelt es sich um einen unmögliches Buch. Kein deutscher Verlag würde es heute so veröffentlichen. Nicht nur, dass die Sprache altmodisch erscheint, sie ist vor allem nicht „politisch-korrekt“. Ebenso hat sich das Bild von einem frommen und religiösen Leben vollständig gewandelt. Ein, wie hier geschildertes Klosterleben scheint dem modernen und vor allem „nachkonziliaren“ Menschen nicht nur wie unwirklich, sondern geradezu unmenschlich zu sein. Warum also sollte jemand dieses Buch lesen?

Ein Mensch wird fertig mit Gott. Vom Cowboy zum Trappisten“.

Pater Raymond hat in Gethsemani schon als junger Mönch durch seine älteren Mitbrüdern von Bruder Joachim gehört. In den Archiven des Klosters suchte er nach Aufzeichnungen, wovon allerdings nicht viel zu finden war. Doch das beflügelte den Autor umso mehr, zwar keine Biografie, dafür aber eine romanhafte Lebensbeschreibung zu verfassen. Was er gehört hatte und in den Klosterannalen fand, verarbeitete er zu einem spannenden Triller. Dabei fließen geschichtliche Ereignissen des 19. Jahr-hunderts ebenso ein wie die gesellschaftlichen Gegebenheiten jener Zeit.

Die etwas reißerisch daherkommenden Titel und Untertitel passen vielleicht zum Stil des Romans, auch nicht unbedingt zu einer Beschreibung des geistlichen Weges eines Trappistenmönches. Das als derbe beschrieben Klosterleben erinnert an heroische Zeiten. Beinahe so, als sei man im 17. Jahrhundert in La Trappe und bei Abt de Rance, dem Gründer der Trappisten. Es ging darum, heilig zu werden. Dafür kam man in solche Klöster. Das schaffte man aber nur, so war man der Ansicht, wenn es gelang, das eigene Ich abzutöten. Die dabei notwendigen Härten, die sich vor allem im Gehorsam dem Vater Abt, dem Oberen gegenüber zeigten, halfen dabei, den Mönch näher zu Gott zu führen. Dieser harte Weg vollzieht sich anhand der klösterlichen Gelübde von Armut, Gehorsam und Keuschheit. Das Ziel ist der Himmel.

Das Buch gewährt diesen Einblick in das Mönchs- insbesondere des Trappistenlebens- jener Zeit. Es wird die Opferbereitschaft und der Heldenmut jener Männer deutlich, die das Klosterleben ergriffen, um Gottes Ruf zu folgen und bereit waren wirklich alles hinzugeben, sogar ihren eigenen Willen mit ihrem ganzen Leben. Hier wird klar, dass Menschen der heutigen Zeit kaum Verständnis für jene Sichtweise  aufbringen können: den eigen Willen aufzugeben für Gott widerspricht der modernen Idee, seinen eigenen Willen ausleben zu müssen. Nein, einem anderen vorbehaltlos zu vertrauen und zu folgen, sich den eigenen Willen brechen zu lassen, ist dem modernen Menschen nicht vorstellbar. Doch vielleicht wird er nach der Lektüre dieses Buches erkennen, dass gerade der moderne Mensch sich mehr und mehr einem fremden Willen (Medien, Mainstream, usw.) unterwirft und in Wirklichkeit keinen eigenen Willen mehr besitzt. – Doch was ist schöner und größer, als sich Gottes Willen anzuvertrauen…

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Von der stummen Liebe

Von der stummen Liebe

O diese stumme Liebe,
Die alle Worte flieht,
Daß sie verborgen bliebe!

O Liebe, die verborgen
Durch allen Wechsel geht,
Auf daß kein Mensch von außen
Ihr tiefes Glück errät,
Und sie kein Dieb erspäht,
Daß ihr nicht würd geraubt
Der Schatz, den sie gefunden.

Je mehr du bleibst verschwiegen,
Je heißer ist dein Brennen,
Und wer dich ganz verschließt,
Wird dich am tiefsten kennen,
Doch wer dich wagt zu nennen,
In Worte fassen will,
Den wird dein Glück verwunden.

Umsonst all sein Bemühen,
Geheime, dich zu künden,
Noch eh er stammelnd sucht
Worte für dich zu finden,
Wird schon von allen Winden
Entführt sein und zerstreut,
Was er als sein empfunden.

Denn soll das Licht den Menschen
Mit stiller Flamme führen,
So halt er es verschlossen,
Verriegle alle Türen,
Laß keinen Hauch es spüren,
Daß nicht das Licht verlischt
Im Sturme dunkler Stunden.

Die tiefe stumme Liebe
Hemmt selbst der Seufzer Wehen.
Sie ist am Tor des Herzens
Als Hüterin zu sehen
Und heißt sie still vergehen,
Daß nichts der Geist ablenkt
Von dem, was er gefunden.

Denn mit der Seufzer Hauch
Will auch der Geist entfliehen,
Läßt gegenwärtges Glück,
Um Fernem nachzuziehen;
Doch fühlt die Scham er glühen
Um das, was er verschwendet,
Bist ewig du entschwunden.

Die tiefe stumme Liebe
Hat Heuchelei verbannt,
Du wirst sie nirgends finden
In ihrem stillen Land.
Sie löscht des Ruhmes Brand.
Es hat sein flüchtig Feuer
Die Liebe überwunden.

Jacopone da Todi

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Der Herzschlag Gottes

„Da lehnte sie der Herr an sein Herz, sodass das Herz ihrer Seele gerade an seinem göttlichen Herzen lag. Und als die Seele dort eine Zeitlang selig geruht hatte, fühlte sie im Herzen des Herrn zwei wunderbare und sehr beglückende Schläge.

Und der Herr sprach zu ihr:

‚Jeder dieser beiden Schläge
wirkt das Heil des Menschen auf dreifache Weise.

Der erste Schlag nämlich wirkt das Heil für die Sünder,
der zweite das für die Gerechten.

Beim ersten Schlag nämlich
spreche ich zuerst unaufhörlich zu Gott, dem Vater,
versöhne ihn wohlwollend mit den Sündern
und mache ihn zur Barmherzigkeit geneigt.

Zweitens spreche ich zu allen meinen Heiligen,
entschuldige bei ihnen den Sünder
mit der Glaubwürdigkeit eines Bruders
und rege sie an,
für den Sünder zu beten.

Drittens spreche ich zum Sünder selbst,
rufe ihn voll Erbarmen zur Buße zurück
und erwarte mit unaussprechlicher Sehnsucht
seine Bekehrung.’“

(aus: Gertrud von Helfta. Botschaft von Gottes Güte)

Nahe am Herzschlag Jesu. + Christus-Johannes-Minne (vor 1330); Kloster St. Martin, Hermetschwil.

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Mehr denn je aktuell: Wohin steuert der Vatikan?

(Reinhard Raffalt’s Analyse von 1973:)

Unter Paul VI. dagegen reichte die Tendenz zum Hominismus bei der Reform bis in die Sprache der Meßtexte hinein. Im alten Missale Romanum war beim Offertorium das Brot als „immaculata hostia“, als makellose Opfergabe bezeichnet worden. Der Ordo Novus nannte es „fructurn terrae et operis manuum hominum“ – die Frucht der Erde und der Arbeit menschlicher Hände. Ebenso wurde der Wein, einstmals Kelch des Heiles, zur Frucht der Traube und – natürlich wieder – der Arbeit menschlicher Hände.

Während man in Rom noch um die Endfassung des Ordo Novus rang, ergriff einen beträchtlichen Teil des Klerus in allen Ländern der Welt bereits die Welle der Purifizierung. Im Hochgefühl nachkonziliarer Freiheit wurden Hochaltäre ausrangiert, Tabernakel entfernt oder nicht mehr benützt, Darstellungen von Heiligen verpönt. Neupriester verlangten als Bedingung für die Annahme ihrer Weihe die Zusicherung des Bischofs, sie würden niemals in einer barocken Kirche Dienst tun müssen.

Wie hoch die Dinge gediehen waren, zeigte der Verlauf der Messe, die Paul VI. am 17. September 1972 zum Abschluß des italienischen Eucharistie Kongresses in Udine feierte. 150.000 Menschen hatten sich eingefunden. Der Altar, sinnigerweise errichtet über einem camouflierten deutschen Wehrmachtsbunker, war ein riesiger weißgedeckter Tisch. Trotz seiner Größe reichte er nicht aus für die geplante Konzelebration. Die Veranstalter hatten errechnet, daß wenigstens zwei Drittel der zusammengeströmten Gläubigen den Wunsch hegen würden, die Kommunion zu empfangen. Folglich traten zur Konzelebration zweihundert Priester in Albe und Stola an, jeder mit einem Kelch voller Hostien. Sie wurden nicht um den Altar gruppiert, sondern hinter ihm in Fünferreihen gestaffelt. Für alle sprach der Papst die Wandlungsworte. Zur Austeilung des Sakraments verließen die Priester in langer Reihe die Plattform. Je zweien von ihnen wurde ein Jugendlicher beigegeben, der sie zu ihrem vorbestimmten Bezirk geleiten sollte. Alle diese Jugendlichen hatten es aus überzeugung verschmäht, durch Meßdienerkleidung und gereinigtes Haupthaar als Glieder des liturgischen Geschehens kenntlich zu sein. Also gab man ihnen ein Kreuz in die Hand, das sie ermächtigte, den nachfolgenden Priestern Raum zu schaffen. Hundert solcher Kreuze zu finden, war nur bei einer Firma möglich gewesen, die provisorische, mit leeren Emailschildern versehene Friedhofskreuze herstellte. Solcherart geleitet, gelangten die Priester mit dem Sakrament zu den Gläubigen. Nur recht wenige nahmen die Kommunion. Bald standen die Priester mit halbgefüllten Kelchen in der Menge und riefen: „Chi vuole ancorai“ – Wer möchte noch? Schließlich entdeckte ich zwei, die einander, die Hostien in der Hand, eine anscheinend komische Geschichte erzählten. Ein Mann neben mir sagte: „Und die wollen uns weismachen, daß das, was sie da austeilen, der Leib des Herrn ist.“ Auf der Ebene des Papstaltares hatte die neue Liturgie gerade noch gehalten. Fünf Meter tiefer, auf dem Parterre der Massen, war ihr Sinn verflogen.

Man kann verstehen, daß kompromißlose Priester – selbst in Rom, unter den Augen des Papstes – einen Schritt weiter gingen und auf die Liturgie überhaupt verzichteten. Einer von ihnen war Don Gerardo Lutte, ein Salesianerpater aus Belgien, den das alsbald verhängte Berufsverbot wenig kümmerte. Die Barackensiedlung Monte Rotondo, in der Don Lutte arbeitete, ist umstellt von modernsten Luxusappartements. Als Besitzer fungiert ein römischer Aristokrat, dessen Vermögen aufs innigste mit den vatikanischen Finanzen verflochten ist. Jedes. Kind weiß, daß hier mit Riesensummen spekuliert wurde, deren Hauptgewinn in die päpstlichen Kassen fließt. Hundert Meter davon entfernt hielt Don Lutte seine Art von Messe in einem kahlen ungefegten Raum. Als ich hinkam, fand ich ihn und seine Anhänger mitten in einer politischen Diskussion. Don Lutte saß an einem alten Schreibtisch, neben sich eine wohlgekleidete, gepflegte Studentin der Soziologie, die plötzlich begann, aus dem Evangelium vorzulesen. In der anschließenden Aussprache sagte Don Lutte: „Ich weiß schon, warum heutzutage so wenig Leute zur Messe gehen. Die Kirche hat sich zu oft auf die Seite der Reichen gestellt. Sie hat das Wort des Herrn verleugnet, der gesagt hat, die Kirche müsse vor allem für den Dienst an den Armen da sein. Statt dessen hat sie die Rechte der Reichen gegen die Armen verteidigt. Für viele, die sich das klarrnachen, ist der Besuch der Messe wie ein Verrat – ein Verrat an den Arbeitern, an den Menschen, die leiden, die unterdrückt sind und ausgenützt werden. Nur wer sich dem Dienst an den Armen hingibt, darf ein Recht auf Autorität haben.“ Darauf ein junger Mann: „Wir untersuchen viel zu wenig, ob man sich gegen Autorität nicht empören, ob man sie nicht zusammenschlagen müßte. Ich glaube, es ist besser, aus der Kirche draußen zu bleiben, weil es wichtig ist, zu protestieren, auch wenn man im Irrtum ist.“ In den Augen der Zuhörer glänzte Zustimmung.

Don Lutte war kein Einzelfall. In Florenz hatte ich Gelegenheit, Zeuge eines Gottesdienstes zu sein, den der weitberühmte Don Mazzi auf dem Kirchenplatz des Isolotto hielt. Es regnete in Strömen. Unter Schirmen standen zweihundert Menschen im Kreis um einen improvisierten Altar. Zum Schluß sagte Don Mazzi, für das Ausharren der Gemeinde dankend: „Wir sind die Kirche der Armen, der Rechtlosen, Ausgesetzten und Unterdrückten. Wir sind stolz darauf, nichts mit den Prälaten gemein zu haben, die in ihren Basiliken sitzen und sich den Segnungen der Zentralheizung hingeben.“ Im Elendsviertel unter dem claudischen Aquädukt unweit der Via Appia nuova erklärte mir Don Roberto in franziskanischer Heiterkeit: „Ich bin kein Intellektueller, der am grünen Tisch ein vorgeformtes Schema ausheckt, mit dessen Hilfe er der Kirche suggerieren könnte, wie sie sich reformieren soll. Ich überlasse diese Frage den Armen. Wenn es wahr ist, daß die Armen der lebende Christus in der Geschichte sind, dann soll dieser Christus reden. Es muß ein Ende damit haben, daß das Schicksal der Kirche im Studierzimmer der Theologen entschieden wird oder gar in der Taubheit und Kälte der Kurie.“ In Ravenna gab es einen Priester namens Don Ulisse Frascali, der seinen Beruf als Busfahrer ausübte. Er ging von der Voraussetzung aus, das Christentum könne sich nur erneuern durch radikale Politisierung. Die Methode dazu biete der Marxismus, der aber nicht das Ziel sei. Dieses definierte Don Ulisse mit der totalen Selbstverwirklichung des Menschen in der Gemeinschaft. Er selber hatte am Stadtrand von Ravenna ein Kinderheim gegründet, dessen kleine Insassen sich darin angeblich so wohl fühlten, daß es ihnen als Strafe erschien, wenn sie hin und wieder in die eigene Familie zurück mußten. Damit bewies Don Ulisse seine These, die Familie sei eine Erfindung der bürgerlichen Gesellschaft zur Unterdrückung der freien Willensbildung der Kinder. Analog dazu seien die Sakramente eine Erfindung der amtlichen Hierarchie zur Unterdrückung der freien Willensbildung der Christen. Die Messe in ihrer rituellen Form feiere er noch, weil alte Leute daran gewöhnt sind und nicht enttäuscht werden dürfen. Im übrigen hielte er jede Art von Liturgie für einen Ausfluß des „Kultualismus“, der von Hierarchie und Bourgeoisie zusammen kreiert worden sei, um den Menschen durch den Zwang zur Verehrung unkontrollierbarer Mächte an seiner Selbstverwirklichung zu hindern. Da die Übernatur außerhalb der überschaubaren Welt liege, könne sie nicht in den Auftrag des Evangeliums einbegriffen sein. Deshalb stelle er einem Sterbenden stets als letzten Trost vor Augen, wie vollkommen er in der Gemeinschaft aufgegangen sei – Grund genug, um das Schicksal seiner Seele beruhigt Gott zu überlassen. „Wenn aber“, so fragte ich dagegen, „ein Mensch ganz und gar nicht so gelebt hat, wie Sie es wollen, wenn er ein Egoist, ein Geizhals, ein Verräter war und dies im letzten Augenblick einsieht – was sagen Sie ihm dann?“ – „Das“, so antwortete er, „muß ich bei der nächsten Versammlung diskutieren.“

Beispiele, die für Hunderte stehen. Sie sollen zeigen, daß der Kampf, der unter den Augen des Papstes tobte, nicht abzutun war mit Begriffen wie „Häresie“ und „Sektierertum“. Die dissidenten Priester bildeten längst eine weltweite Bundesgenossenschaft. Wer sie am Werke sah, mochte über die Blindheit klagen, mit der sie die Erlösungsbedürftigkeit der menschlichen Natur mißkannten, er mochte bestürzt sein über die Kraft, die hier vergeudet wurde, anstatt der Kirche neues Leben zuzuführen. Aber er konnte jenen Priestern nicht den Idealismus absprechen. Sie liebten es sehr, den heiligen Franziskus als Vorbild anzuführen. In der Tat hat der Poverello von Assisi ihre Grundsätze an Radikalismus womöglich noch übertroffen. Aber in einem unterscheidet er sich von ihnen. Er hat die Kirche, deren damaliger Feudalismus ihm höchst unchristlich erscheinen mußte, niemals angetastet. Er starb in der Überzeugung, gescheitert zu sein – nicht weil er an seiner Idee irre geworden wäre, sondern weil er in der Kirche verblieb. Ich fragte Don Ulisse, was nach seiner Ansicht die Kirche der Zukunft tun solle. „Selbstzerstörung“, sagte er, „ist ihr einziger Weg, und sie wird ihn gehen.“ – „Ist das eine Voraussage?“ – „Mehr – eine Forderung an die ganze Hierarchie.“ – „Und wenn sie erfüllt ist?“ – „Dann wird es keine Kirche mehr geben, keinen Vatikan, keine Priester, aber eine christliche Menschheit.“ Joachim von Fiore hat am Ende des dreizehnten Jahrhunderts für das letzte Zeitalter der Welt das gleiche prophezeit. Er war ein Mystiker. Don Ulisse dagegen behauptete, er sei ein Realist.

Hier wurde bloßgelegt, wie sehr die offenkundige Verwirrung in der katholischen Kirche ein Klerusproblem war. Man hatte sich angewöhnt, diesen Klerus nach einem Schema zu ordnen, das zwar bequem, aber falsch war. Im Vatikan fluktuierten Vertreter aller Richtungen, die wechselweise das Ohr des Papstes erreichten. Paul VI. selbst war stets im Geiste fortschrittlich, im Herzen aber konservativ, folglich als Regent ein Janus mit zwei Gesichtern. Schließlich konnte man in Rom deutlich wahrnehmen, daß den drei scheinbar wohlunterschiedenen Gruppen stets eines gemeinsam war – die Angst, unmodern zu sein.

Aus: Reinhard Raffalt. Wohin steuert der Vatikan? Papst zwischen Religion und Politik.
Verlag R. Piper & Co. München, Zürich 1973.

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Der Glaube, der uns zur Krippe führt

Der Glaube, der uns zur Krippe führt, ist die Überzeugung, dass Gott als Kind aus Maria geboren wurde. Das Licht ist in die Welt gekommen, um alle zu erleuchten, die es annehmen, so wie es die Propheten schon angekündigt hatten. „Dein ist die Herrschaft am Tage deiner Macht, wenn du erscheinst in heiligem Schmuck; ich habe dich gezeugt noch vor dem Licht, wie den Tau in der Frühe!“ (Ps 110,3)

Stephan Lochner – Die Anbetung des Christuskindes

Betrachten wir Maria und Josef vor der Krippe, in der das Kind liegt; schauen wir auf die sich beeilenden Engelscharen, auf die Hirten, die die himmlische Melodie hören und zur Krippe eilen, auf die Magier, die mit ihren großherzigen Gaben zum neu geborenen König kommen, dann werden auch wir mit Herz und Mund singen: Ehre sei Gott in der Höhe! (Lk 2,1-16 bzw. Mt 2,1-6)

Dank dieser Geburt ändert sich alles in der Welt:
Wir wurden empfangen in der Ursünde und jetzt können wir in der Gnade neu geboren werden.
Wir wurden geboren für ein unsicheres Leben und jetzt können wir in der Hoffnung auf ewige Seligkeit ausharren.
Wir wachsen und altern mit Sorgen und Leiden, doch jetzt können wir vor den Altar Gottes treten, der uns in unseren Freuden erfrischt.

Alles Vergängliche wird uns genommen und die Zeit bis zum Tode wird immer kürzer; aber jetzt haben wir die Sicherheit im Glauben, dass wir nach dem Tod in die Ewigkeit eingehen: in eine neue Erde und einen neuen Himmel (Offb 21,1).

Wir werden ernährt mit Dingen, die uns schaden und nicht sättigen; jetzt können wir den Leib des Herrn empfangen, der das Brot des Lebens ist, das Unterpfand der Unsterblichkeit. Alles Vergängliche wird uns weggenommen, nicht aber die Unsterblichkeit! Wir erkennen, welche Verheißung uns die Geburt unseres Herrn Jesus Christus verkündet, noch bevor er ein Wort reden kann!

Die Empfängnis Christi
im Schoße Mariens
ist der Ursprung des christlichen Volkes,
der Kirche,
und die Geburt unseres Heilandes
ist zugleich die Geburt des mystischen Leibes Christi.

Durch denselben Geist, durch den Jesus aus dem Leibe seiner unbefleckten Mutter geboren wurde, werden wir immer wieder aus dem Schöße der Kirche, die auch ohne Makel und Runzel ist, wieder geboren, wenn wir unsere Verfehlungen bereuen.

(Text: German Rovira. Mariologisches 4-2018)

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Quem vidisti – zur PRIM, am frühen Morgen

Wen habt ihr gesehen
ihr Hirten?
Sprecht und verkündet es uns!
Wer ist auf Erden erschienen?

Wir haben ein Kind gesehen
und Chöre vom Himmel vernommen,
die dem Herrn lobsangen,
alleluja, alleluja.

Prim-Antiphon

Quem vidistis, pastores? dicite, annuntiate nobis, in terris quis apparuit?
Natum vidimus, et choros Angelorum collaudantes Dominum, alleluia, alleluia.

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Betrachtung zur Geburt unseres Herrn

Wir stellen uns den Stall zu Bethlehem vor und betrachten den neugeborenen Erlöser der Welt in der Krippe. Wir bitten um die Gnade, die Wirkungen seiner heiligen Geburt an uns zu erfahren.

1. Siehe, ich komme, Deinen Willen zu erfüllen

Die Zeit, die Gott von Ewigkeit her zur zeitlichen Geburt seines Sohnes bestimmt hatte, war gekommen. Unser Heiland hatte sich geduldig in diese Stunde gefügt. Er war ihr weder zuvorgekommen, noch hatte er sie verschoben. Dann aber erhob er sich wie ein Riese, seinen Weg zu laufen (Ps 18,6), der ihm von der Wiege bis zum Kreuze eröffnet war.

O anbetungswürdiges Kind, wie viele Kreuze wirst Du finden, bevor Du jenem begegnest, auf dessen Armen Du Deinen Lauf vollenden sollst! Welche Ergebung in den Willen Deines Vaters, der Dir genau vorgezeichnet ist, findet sich bei Dir! Wie sehr muss mich der Gedanke packen, hier einen untertänigen Gott zu sehen, untertänig den strengen Beschlüssen eines Vaters, der die Empörung seiner Knechte am eigenen Sohne rächt!

Durch seine Ankunft in der Welt zu der vom Vater bestimmten Stunde, da er das Heiligtum unter dem Herzen seiner Mutter verließ, schenkte unser Heiland Maria ein Übermaß himmlischer Schätze, einen Überfluss an Gnaden, der sich leichter betrachten als beschreiben lässt.

O liebenswürdigster Jesus, mit welchen Gnaden wirst Du unser Herz erfüllen, wenn wir Dich in der heiligen Kommunion empfangen und Deiner Gnade kein Hindernis entgegensetzen! Findest Du in unserer Seele eine Tugend, die mit jener der gebenedeiten Jungfrau auch nur entfernte Ähnlichkeit hat, so wirst Du gewiss ihren Glanz vermehren, so wie Du die Tugend Deiner heiligen Mutter vollkommener machtest.

2. Das Geheimnis der Weihnacht

Da die seligste Jungfrau wusste, dass die Geburt Jesu herannahe, erwartete sie in zurückgezogener Einsamkeit, in tiefer Betrachtung den wichtigen Augenblick. In höchstem Glück schenkte sie jenen der Welt, der ihr Befreier war. Unaussprechliche Liebe und Ehrfurcht durchdrang ihr Herz. Sie betete jenen als ihren Gott an, den sie als ihren Sohn liebte. Mit der Zärtlichkeit einer Mutter umfing sie ihn. Sie nahm das göttliche Kind auf ihre Arme und an ihr Herz. Sie küsste es voll Ehrfurcht, und Tränen der heiligsten Freude rollten aus ihren Augen. Ehrfurcht und Liebe sollten deine Empfindungen sein, mein Christ, wenn du das Glück hast, denselben Heiland zu besitzen. Ehrfurcht und Liebe sind die Hände, die du ihm reichen sollst.

Nachdem Maria dem ersten Drang ihrer Liebe Genüge getan hatte, war sie um die Erfüllung ihrer Mutterpflichten bekümmert. Sie wickelte das göttliche Kind in Windeln und legte es in die Krippe. Welch ein Schmerz für die liebevolle Mutter, den eingeborenen Sohn Gottes, ihren Schöpfer und Erlöser, in eine arme, der Würde seiner Person so wenig angemessene Wiege legen zu müssen! Wie sehr musste sie staunen, Gott in einem so bescheidenen Zustande zu erblicken! Wie sehr musste sie von Dankbarkeit durchdrungen sein, dass ihr Schöpfer sie zu seiner Mutter gewählt hatte. Mit welcher Hingabe opferte sie sich seinem Dienste! Und der hl. Joseph vereinigte seine Huldigung, Liebe und Zärtlichkeit mit jener seiner gebenedeiten Braut.

Werfen wir uns mit Maria und Joseph zu den Füßen des Jesuskindes nieder und beten wir mit ihnen das menschgewordene Wort an. Es hat sich ja aus Liebe zu uns in so wunderbarer Weise herabgelassen. Wir lieben es, wir bewundern es. Wir danken ihm in Demut für eine so unaussprechliche Gnade. Wir bringen ihm aus Dankbarkeit uns selbst zum Opfer dar und sprechen mit aller Zärtlichkeit unseres Herzens: „Liebenswürdiger Erlöser, was soll ich tun, um Deiner großen Güte zu entsprechen? Hätte ich doch in jener Stunde zu Bethlehem sein können, um euch beizustehen und euch zu dienen. Lass mich Dir mit Leib und Seele zu Diensten sein. Verfüge über mich nach Deinem Wohlgefallen!

3. Sanftmütig und demütig von Herzen

Welche Wunder sind hier zu betrachten, welche Tugendbeispiele stehen im neugeborenen Heilande in allen Umständen seiner Geburt vor unseren Augen! Jener, der im Himmel thront in unnahbarer Herrlichkeit mit dem Vater und dem Heiligen Geiste, umgeben von Cherubinen und Seraphinen, die ihr Angesicht bedecken, er steigt auf diese Erde hernieder, wird als armes Kind geboren, liegt auf Stroh und teilt seine Wohnung mit dem Vieh der Menschen. Wo ist sein Hab, wo ist sein Gut? Er hat sich aller Herrlichkeit beraubt, um seinen Vater zu ehren und uns zu erlösen. Unser Herr schaut aus der Krippe hinauf zum Vater, um ihn zu preisen, er schaut auf uns, um uns Demut zu lehren. Er übt Entsagung und Demut vom Tage seiner Geburt an.

Hörst du, meine Seele, die Stimme des göttlichen Kindes, in dessen Umgebung alles predigt: „Die Windeln, die Krippe, der Stall als Sinnbilder der Demut?“ Lernet von mir, sagt es, „denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen“ (Mt 11,29).

O Gott, welch große und inhaltsschwere Lehre! Aber wie wenig erkennt man sie, und noch weit weniger lebt man nach ihr! Der ewige Vater wollte uns zur Liebe dieser göttlichen Tugenden bewegen. Er stellte uns daher in seinem eigenen Sohne das Muster vor. Er erklärte uns, dass wir keinen Teil an seinem Reiche haben würden, wenn wir seinen Sohn nicht zu unserem Vorbild machten. Wir sollen die Tugenden seiner heiligen Kindheit uns aneignen und das Gepräge derselben in uns tragen. Wenn ich heute vor Dir erscheinen müsste, mein Herr und Richter, wie beschämt stünde ich da, weil ich Dir, Du demütiges Kind in der Krippe, so wenig ähnlich bin!

(Ludwig de Ponte. Meditationen)

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Betrachtung zum 4. Advent

Das Leben und Wirken des hl. Johannes des Täufers

Wir stellen uns den hl. Johannes in der Wüste und an den Wassern des Jordan vor und bitten den Heiligen Geist um die Gnade, die Tugenden dieses großen Mannes nachahmen zu können.

1. Der Mann der Stille

Johannes der Täufer ging schon in seiner frühesten Jugend in die Wüste. Er übte dort vier herrliche Tugenden, die der Grund der Vollkommenheit sind.

Die erste Tugend war die Buße. Sie ist bei dem jungen Mann umso bewunderungswerter, als er von keiner Seite aufgefordert wurde, ein so strenges Leben zu führen. War er doch schon im Leibe seiner Mutter geheiligt und hatte niemals einen bedeutenden Fehltritt begangen. Trotzdem lebte er bei all seiner Heiligkeit in strenger Buße. Er verzehrte Heuschrecken und wilden Honig, kleidete sich mit einem Tierfell, trug einen ledernen Gürtel um seine Lenden.

Eine Grotte oder ein Felsenloch war seine Wohnung. Tag und Nacht weilte er im Gebete vor Gott. Dieses ständige Gebet war die zweite Tugend, die er übte. So war der Heilige Geist der Herr seines inneren Lebens. Dieser Geist hatte ihn in die Wüste geführt. Dieser Geist sprach zu ihm im Innersten seiner Seele und beschäftigte ihn mit der Betrachtung göttlicher Dinge.

Ungeachtet des Kampfes, den der Feind der Heiligkeit auch ihn bestehen ließ, verharrte er in dieser Lebensweise mit einer Standhaftigkeit, die die dritte seiner Tugenden, vielleicht die bewunderungswürdigste war. Aushalten können, das ist die größte Kraft der heiligen und strebsamen Menschen.

Die vierte Tugend endlich, die man gleichsam als die Frucht der drei vorhergehenden betrachten kann, war eine engelgleiche Reinheit.

So schritt der große Mann immer folgsam auf dem Wege der Gnade vorwärts. Er machte das Wort des Evangelisten, das später über ihn geschrieben werden sollte, wahr: „Er wird vor ihm hergehen mit dem Geiste und der Kraft des Elias, um die Herzen der Väter wieder ihren Kindern zuzuwenden, die Ungehorsamen zur Gesinnung der Gerechten zu drängen und dem Herrn ein williges Volk zu bereiten“ (Lk 1,17).

Die Zurückgezogenheit, meine Seele, ist ein an allen Tugenden fruchtbares Feld, zumal wenn man den Mut hat. solange in dieser Stille zu verharren, wie Gott es will. Blei ben wir in der Einsamkeit, im Gebete und in der Buße, sie wird für uns ein Berg an Myrrhe und ein Weihrauchhügel sein, darauf wir Gott beständig Opfer darbringen und zum Lohne dafür zu einer Reinheit des Herzens gelangen, die uns fähig machen wird, mit den Engeln Umgang zu pflegen. Wir werden dadurch so an Tugend wachsen, wie der Morgenstern immerzu bis zum hellen Tage wächst.

Nur Du kannst uns den Armen der Welt entreißen, o göttlicher Geist, Du kannst uns in die Einöde führen und uns die Erkenntnis göttlicher Dinge geben. Du kannst uns zur Übung der Tugenden Deines Vorläufers aneifern. Wir bitten Dich demütig um diese Gnaden und überlassen uns ganz Deiner göttlichen Leitung.

2. Der Wegbereiter

Johannes verließ seinen Aufenthalt und ging an das Ufer des Jordan, um die Bußtaufe zu predigen. Warum brach Johannes plötzlich aus seiner Einsamkeit auf? Wie alt mag er zu jener Zeit gewesen sein? Wie erfüllte er seine Pflicht und welche Früchte zeigte sein Wirken? Das ist reichhaltiger Stoff zum Nachdenken, besonders ist er für jene nützlich, die Gott zum Dienste seiner Ehre und zur Seelsorge berufen hat.

1. Johannes verließ nicht aus Überdruss die Wüste. Noch viel weniger geschah es aus bloßem Eigenwillen. Der Heilige Geist führte ihn in die Stille und führte ihn unter die Menschen. Er hatte ihn in der Einöde geschult, um das Wort Gottes auf den Straßen der Menschen zu verkünden. Mein Gott, wie glücklich ist der Mensch, der von den Händen eines so großen Meisters geleitet wird! Steht man einmal unter der Leitung des Heiligen Geistes, so muss man auch seine Absichten sorgfältig zu erkennen suchen, ohne ihnen durch übereilte Ungeduld unter dem Vorwand des Eifers zuvorzukommen.

2. Johannes wurde also aus einem Einsiedler ein Volksprediger. Er hatte in der Stille das Wort Gottes in sich reifen lassen, um es nun laut zu verkünden. Er war in die Geheimnisse Gottes eingedrungen, um sie den Menschen zu offenbaren. O Herr und Gott der Liebe, Du hast während so vieler Jahre das Feuer der Liebe im Herzen des hl. Johannes entzündet, damit er die Flammen nach außen verbreite, gib auch mir diese Liebe. Kann man sich wohl zurückhalten und unter den Menschen erscheinen, ohne sie zur Liebe zu ermuntern, wenn man Dich, mein Gott liebt?

3. „Tuet Buße!“ rief der Vorläufer allen zu, die um ihn versammelt waren (Mt 3,2). Johannes behandelte nicht alle seine Zuhörer gleich. Er gleicht sich den Verschiedenheiten der Herzen an. Die verstockten Pharisäer und Sadduzäer bedroht er, vom Geiste des Elias beseelt. Das Volk dagegen, die öffentlichen Sünder und die Soldaten behandelte er milde. Alle, die geneigten Herzens waren, führte er mit der Sanftmut eines Moses. Nichts ist sanftmütiger und großmütiger als die Liebe. Sie mag sich im Donner zeigen oder im Tau herabträufeln, sie bleibt sich immer gleich und hat keinen anderen Zweck als die Bekehrung der Seelen.

4. Die größte Stütze des hl. Johannes im Dienste des Herrn war nicht seine Wunderkraft, sondern seine Heiligkeit. Das große und einzige Wunder, das dem hl. Johannes so viele Zuhörer verschaffte und seine Worte fruchtbar machte, war seine erstaunliche Lebensweise. Göttlicher Geist, rufe doch stets solche Johannesseelen in Deiner Kirche hervor, erwecke wahre Nachfolger seines Eifers und seines Lebens. Gib uns Prediger, die durch ihr Beispiel das bekräftigen, was sie mit Worten lehren. Mache sie zuerst selbst heilig, damit sie dann andere zur Heiligkeit führen können.

3. Ich muss abnehmen

Das Leben und die Predigten des hl. Johannes hatten ihm unter dem Volke eine so hohe Achtung erworben, dass man ihn für den wirklichen Messias hielt. Sobald der Vorläufer diesen Irrtum bemerkte, beseitigte er ihn, indem er über seine Person keinen Zweifel ließ. „Ich taufe nur mit Wasser“, erklärte er allen, „es kommt aber einer, der mächtiger ist als ich. Ich bin nicht würdig, auch nur seine Schuhriemen aufzulösen. Er wird euch mit dem Heiligen Geiste und mit Feuer taufen“ (Lk 3,16). In diesen Worten liegen drei große Beweise der Demut des Heiligen.

Der erste Beweis liegt darin, dass ihn weder sein strenges Leben, noch die besonderen Gnaden des Himmels, noch der ausgezeichnete Ruf, den er sich erworben, stolz machten. Wie wenig braucht es bei uns, dass wir uns etwas einbilden!

Zum zweiten beweist Johannes seine Demut dadurch, dass er die Wahrheit auf Kosten seiner Ehre und zur Ehre des Gottessohnes nicht verschweigt. Ja, er verkündigt laut, dass er nichts im Vergleich mit Christus sei. Er sei nicht einmal würdig, ihm den geringsten Dienst zu erweisen. Wie selten weisen wir ein Lob zurück, selbst wo es nicht verdient ist! Wie noch weit seltener gibt man jenen die Ehre, denen sie gebührt, zumal dann, wenn es zu unserem eigenen Nachteile gereicht.

Der dritte Beweis für die Demut des hl. Johannes liegt darin, dass er seine eigene Taufe hinter der Taufe Jesu Christi zurückstellt. Meine Taufe, sagt er, ist nur eine gewöhnliche Taufe mit Wasser, der aber nach mir kommt, den ihr nicht kennt, der hat eine andere Taufe, er wird euch seinen Heiligen Geist in dieser Taufe mitteilen.

So macht man es, mein Gott, wenn man wahrhaftig demütig ist. Je mehr man von der Welt geachtet wird, desto weniger muss man sich selbst achten. Man erscheint in seinen eigenen Augen ebenso klein und verachtungswert wie man in den Augen der Menschen groß angesehen wird. Gern setzt man sich zu den Füßen anderer und bezieht alle Ehre, die man empfängt, in Gerechtigkeit und Wahrheit auf jenen, der der Grund und die Quelle aller Ehre ist, Gott der Herr.

Schämen wir uns, mein Christ, dass wir dem großen hl. Johannes so wenig ähnlich sind. Wir gereichen Gott und den Menschen zur Verachtung und bilden uns dennoch ein, etwas zu sein. Wir geben uns selbst einen Vorrang vor anderen, die viel mehr wert sind als wir. Und während wir gar nichts Erhebliches für Gott tun, berauben wir ihn noch der wenigen Ehre, welche er aus unserem geringen Dienste ziehen konnte.

Großer hl. Johannes, der du dich erniedrigtest, indes Himmel und Erde sich gleichsam um die Wette bemühten, dich zu erheben, erbitte mir eine heilige Demut. Du hast sie in so hohem Maße besessen. Ich habe sie dringend notwendig, weil ich durch meinen Stolz die himmlischen Gaben zu verlieren fürchte, die mir der Herr in seiner Barmherzigkeit geschenkt hat.

(Ludwig de Ponte. Meditationen)

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Weihnachtsmensch

(von Alexander Kissler)

Jahr um Jahr schrieb Gilbert Keith Chesterton eine Weihnachtsbetrachtung, mindestens eine. Chesterton war ein Mensch der Freude, und also musste er ein Weihnachtsmensch sein. Er war ein Mensch voller Abgründe, und also musste er ein Weihnachtsmensch sein. Er war ein Mensch der Hoffnung und musste auch darum ein Weihnachtsmensch sein. Seine letzte Betrachtung wurde am 28. Dezember 1935 in der englischen Ausgabe der „Illustrated London News“ veröffentlicht. Es war ein Plädoyer für ein „Abschieds-Dankfest nach dem Weihnachtsfest“, das am 28. Dezember eben keineswegs vorüber sei. Eines „der seltsamsten Dinge in unserer eigenen, auf dem Kopf stehenden Zeit“ sei der Umstand, „dass wir alle eine solch riesige Menge über Weihnachten hören, kurz bevor es kommt, und hinterher plötzlich gar nichts mehr.“ Dagegen, schlug Chesterton vor, könne jeder aufbegehren und künftig seinen Freunden „einen Nach-Weihnachts-Gruß schicken“. Damit die Freude nicht vor der Zeit stirbt. Damit die heiligen Drei Könige noch den Grund für ihr Kommen vorfinden. Damit die verrückte Ordnung der Moderne vom Kopf auf die Füße gelangt. Im Leben und in der Kunst, mahnte Chesterton 1908, bedeute, „nur ,modern‘ zu sein, sich zu einer endgültigen Beschränktheit zu verdammen, genauso wie man sich endgültig altmodisch macht, wenn man seinen letzten Pfennig für den allerneusten Hut ausgibt.“ Glücklich der Mensch, der wisse: „Alle neuen Ideen stehen in alten Büchern“. Vollends im Glauben mache der Hang zur Modernität unfroh. „Moderne Theologie“ war für Chesterton ein Widerspruch in sich. Als modern galt zu Chestertons Zeit der Glaube an den ewigen Fortschritt des Menschengeschlechts wie auch an dessen evolutionäre Herkunft. Modern war der Sammelbegriff für Weltanschauungen, die fest davon überzeugt sind, dass alles aus allem hervorgehe, jedes Geschehen im Fluss sei und einem geraden Weg der „Fortentwicklung und höherer Moral“ folge. Den stärksten Einspruch gegen diese Ideologie formuliere Weihnachten. In seiner knappsten Betrachtung, 1925 entstanden, fasst Chesterton die Botschaft von Weihnachten schlicht zusammen: „Etwas ist geschehen.“ Die „dramatische und krisenhafte Seite dieses Festes“ hänge damit zusammen. Ein einmaliges Ereignis fand statt im Stall zu Bethlehem, das weder wiederholt werden kann noch veraltet, das keinen Vorgänger kennt und keinen Nachfolger haben wird. Die Modernen können damit nichts anfangen, weil sie Evolutionisten sind und sich nur Prozesse vorstellen können und keine unwiderruflichen Ereignisse. Deshalb sei den Modernen die Freude am Weihnachtsfest verstellt. Heute, mag man einwenden, haben sich die Dinge anders verkehrt. Ereignisse jagen einander so rasch, dass sie den Sinn für Kontinuitäten und Entwicklungen schwächen. Dennoch: Weihnachten ist der Ernstfall. Weihnachten ruft uns die Krise eines nur menschlichen Zeitbegriffs dramatisch ins Gedächtnis. Wenn damals wirklich etwas geschehen ist, dann werden die Herren dieser Welt dieser Welt nie Herr. Dann haben wir allen Grund, frohe Weihnachtsmenschen zu werden.

Quelle: DIE TAGESPOST 20.12.2018

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