Die einzige positiv-schöne Gestalt

„Das Schöne ist das Ideal“, schreibt Dostojewski in einem Brief an seine Nichte Sofija Alexandrowna:

Es gibt in der Welt
nur eine einzige positiv-schöne Gestalt:
Christus,
diese unendlich schöne Gestalt
ist ohne Zweifel ein ewiges Wunder.

Das ganze Evangelium Johannis ist von diesem Gedanken erfüllt: Johannes sieht das Wunder in der Fleischwerdung, in der Erscheinung des Schönen …“ (Brief vom 1. Januar 1868).

Noch aufschlußreicher sind Dostojewskis Meditationen „über Christus“, die er an der Bahre seiner ersten Frau niederschrieb. In ihnen erfaßt er Christus als ein

„für die Ewigkeit bestimmtes Ideal,
dem der Mensch zustrebt“,

und sieht die Erscheinung Christi als „das Ideal des Menschen im Fleische“. Christus ist demzufolge
das Spiegelbild Gottes auf Erden.

(Aus: Norbert Clasen. „Es gibt in der Welt nur eine einzige positiv-schöne Gestalt: Christus …“ – Zum 200. Geburtstag des großen russischen Dichters Fjodor M. Dostojewski am 11. November 1821. – KIRCHLICHE UMSCHAU, November 2021, Seite 28ff)

Ausschnitt: Kirchliche Umscha 11,2021, S.32

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Ob Theodor Fonatane nicht an die Birnbaumblüte dachte?

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland
Gedicht von Theodor Fontane.

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit

Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn’s Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: »Junge, wiste ’ne Beer?«
Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb ’ne Birn.«

So ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.

Er fühlte sein Ende. ’s war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit;
Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab.«
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Sangen »Jesus meine Zuversicht«,
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
»He is dod nu. Wer giwt uns nu ’ne Beer?«

So klagten die Kinder. Das war nicht recht –
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er tat,
Als um eine Birn‘ ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.

Und die Jahre gingen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet’s wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung‘ übern Kirchhof her,
So flüstert’s im Baume: »Wiste ’ne Beer?«
Und kommt ein Mädel, so flüstert’s: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew‘ di ’ne Birn.«

So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

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