Schweigen, um Gott zu hören

Die nachfolgenden Gedanken von Prof. Dr. Berthold Wald weisen auf ein modernes Phänomen hin: Noch Nutzloser als in zurückliegenden Epochen scheint dem modernen Menschen der Zugang zum Schweigen völlig abhanden gekommen zu sein.

Handy und Kopfhörer – Symbole unserer Zeit und Feinde des Schweigens

Vernunft und Vernehmen stehen schon wortgeschichtlich in direktem Zusammenhang. „‚Vernunft‘ kommt von ‚Vernehmen‘; niemand kann aber etwas vernehmen, wenn er nicht schweigt; nur der Schweigende hört.“ Auf dies Schweigen und Vernehmen und auf das schweigend Vernommene kommt Pieper schon sehr früh und dann immer wieder von neuem zu sprechen, nach kleineren Vorarbeiten zuerst in „Muße und Kult“ (1948). Muße versteht er als Haltung der „Nichtaktivität“, als „Haltung dessen, der nicht eingreift und redet, sondern dessen, der schweigt“, „der losläßt, der sich losläßt und überläßt“. Solche Nichtaktivität und solches Schweigen bedeutet, „daß der dem Seienden von Natur zugeordneten und ‚ent-sprechenden‘ Antwortkraft der Seele nicht ins Wort gefallen werde.“ Und solches Schweigen beansprucht den Menschen tiefer, als alle wissenschaftliche Objektivität.

Schweigen zu können heißt, den vielerlei Gestalten des Nicht-Schweigens keinen Resonanzraum zu öffnen: angefangen bei den täglichen Ablenkungen durch das mediale Infotainment, den demokratiepolitisch erwarteten Stellungnahmen zu allem und jedem bis hin zur empörten Ignoranz, wenn andere anders denken als man selbst.

Wie es viele Weisen des Nicht-Schweigens, der Vereitelung von Hören auf die Sprache der Dinge, gibt, so auch viele Weisen des schweigenden Vernehmens. In einer Pfingstbetrachtung, die 1955 zuerst als Leitartikel der „FAZ“ erscheint, nennt Pieper verschiedene Gestalten wahrhaft geistigen Lebens, worin „das Auge der Seele sich öffne zu der äußersten ihm möglichen Empfänglichkeit“ für die Dimension des Seins im Ganzen: „Zum Beispiel, wenn wir die Zeichen bedenken, die uns in der Dichtung, in der Musik und in allen bildenden Künsten vor Augen gebracht werden. Auch die Besinnung des Philosophierenden meint das Insgesamt der Welt“, und eben diese gleiche Welt schon als Gegenstand „irdischer Kontemplation“. „Vor allem aber ist die religiöse Kontemplation zu nennen, das betrachtende Sich-versenken in die Mysterien der Rede Gottes“, schließlich das Gebet, in welchem „das Schweigen entscheidender ist als die eigene worthafte Äußerung“.

Zu allen diesen Weisen, von der Wirklichkeit selbst erst in schweigendem Vernehmen berührt zu werden, gehört die Grenze des Erreichbaren ebenso wie das sich steigernde Verlangen, diese Grenze zu überschreiten. Die Berührung mit dem, was ist und geschieht, führt zur „Anerkennung des Geheimnischarakters der Welt“, dem einzig die „Heiterkeit des Nichtbegreifenkönnens“ entspricht. Das ist zugleich gegen einen „Fanatismus des Wahren“ (Konrad Weiß) gerichtet, welcher „das Vertrauen auf das Fragmenthafte, das eben das Leben und das Wesen der Geschichte bildet“, nicht aufzubringen vermag. Der Selbstbezug des Denkens dagegen, wie er für das neuzeitliche Philosophieren kennzeichnend ist, führt entweder in eine geschlossene Welt philosophischer „Systeme“ oder in die Auflösung allen Vernunftvertrauens. Auf die letzte Bedeutung des Wirklichkeitsganzen aufmerksam zu werden, geschieht auf diesem Weg gerade nicht. Und weil das bei Josef Pieper auf erregende Weise anders ist, darum führt jede philosophische Erörterung und jedes Buch Piepers seine Hörer und Leser zugleich in den Vorhof der Theologie und näher an die Schwelle zum Geheimnis des christlichen Glaubens heran.

Berthold Wald (Herausgeber der Werke Josef Piepers) in „Schweigen, um Gott zu hören“, zum 120. Geburtstag von Josef Pieper, am 4. Mai 2024. Erschienen in „Die Tagespost“ am 3. Mai 2024.

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Lebenslügen, Sex und Ehe

Ein durchschnittlicher Mann, nennen wir ihn Ulrich, hätte vor 100 Jahren eine durchschnittliche Frau, nennen wir sie Gertrud, geheiratet und mit ihr ein familiäres Leben aufgebaut. Damals hätte Ulrich sich nicht so anstrengen müssen wie heute, um eine Frau zu gewinnen, und er hätte eine feminine, anziehende, freundliche, loyale, natürliche und gesunde Frau bekommen.

Die moderne Frau wird Ulrich dagegen keines Blickes würdigen, da sie in der Illusion lebt, ihn nicht zu brauchen und etwas ganz Besonderes zu sein – wie die Frauen in den Filmen und Serien und in den „sozialen“ Medien. Heute lebt Gertrud in der Illusion, gefüttert mit Bildern der Unterhaltungs- und Werbeindustrie und getragen von den Kräften des Egos, die nun komplett freigesetzt sind.

Wenn Gertrud attraktiv ist, hat sie heute Zugang zu gesellschaftlichen Kreisen, zu denen ein Mann nur Zugang hat, wenn er über viele Jahre dafür hart gearbeitet hat. Gertrud hat Zugang zu Männern, die vor hundert Jahren nie an sie herangetreten wären. Da sie eingeredet bekommt, eine Göttin zu sein, wird sie ein Leben anstreben, das diesem Selbstbild entspricht und wo immer möglich Affären mit Alphamännern beginnen. Sie lebt ihre sexuelle Macht aus, die ihr auf magische Weise goldene Türen öffnet. Dabei übersieht sie aber die Tatsache, dass diese sexuelle Macht nur von kurzer Dauer und sie leicht ersetzbar ist durch eine Vielzahl anderer Frauen, die mindestens genauso anziehend sind.

Vor hundert Jahren wäre Gertrud die Frau von Ulrich gewesen, und der Alphamann hätte sie nicht angerührt, weil die Ehe eine unantastbare Institution war und es noch Formen von Sittlichkeit gab. Vor hundert Jahren wäre auch die noch alleinstehende Gertrud nicht mit dem Alphamann in die Kiste gesprungen, denn das hätte ihren Wert gesenkt und ihre Aussichten auf eine gute Ehe verschlechtert. Sexuelle Aktivität einer Frau ist und bleibt etwas anderes als sexuelle Aktivität eines Mannes.

Gertrud verausgabt sich also mit Alphamännern, bis sie verbraucht ist. Die Frauen rangeln sich um die begehrenswertesten Männer, daher geht Ulrich, der genauso durchschnittlich ist wie Gertrud, leer aus. Eine große Zahl junger Männer lebt heute zwangsläufig zölibatär, weil sie keinen Zugang mehr zu Frauen haben. Eine recht kleine Zahl an Männern ist dagegen sexuell aktiv mit Gertrud und all jenen Frauen, die über den Verteilungsmechanismus der Ehe eigentlich mit Ulrich, Herbert oder Thomas eine Familie gegründet hätten. Doch weil diese kleine Zahl von Männern einen Maserati und eine schicke Penthouse-Wohnung haben und Gertrud „emanzipiert“ ist, kommen sie in den Genuss von Gertruds Intimität.

In dieser Welt redet man von Gleichheit, doch mit der Abschaffung der Ehe hat man auch die Gleichheit abgeschafft, nämlich die gleichen Chancen auf Liebe. Die Ehe ist der Mechanismus, der es allen Menschen ermöglicht, eine Familie zu gründen, doch eine Familie können nur noch jene Männer gründen, die einen Status erlangt haben, der Frauen anlockt, und die genug Geld haben, um finanzielle Einbußen durch eine Frau und Kinder abzufedern.

Von Beile Ratut

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Symbolbild für wechselnde Sexualpartner

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Bußwerkzeuge – Zusammenfassung

Wir können festhalten:

– Bußgewänder, insbesondere Bußhemden, konnten am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit zunehmend durch etwa handbreite Bußgürtel und Bußriemen ersetzt werden.
– Diese Bußgürtel wurden um die Lenden, häufiger um die Arme oder um ein Bein angelegt.
– Sie wurden, wie die ausgeführten historischen Belege zeigen, von Männern und Frauen getragen, vorwiegend von Klerikern (bes. von Mönchen), aber auch von Laien.
– Ein wesentlicher Aspekt der Bußübungen war die mortificatio, die Abtötung sinnlicher Triebe.
– Bußgürtel sollten, ebenso wie die Bußhemden, nicht zur Schau gestellt, im Verborgenen benutzt werden, also unter dem Obergewand: sei es direkt auf der Haut oder über einem Untergewand/Hemd.
– Sie konnten mit Stacheln ausgestattet sein, sollten auf jeden Fall Schmerz verursachen, aber keinen dauerhaften Schaden zufügen und die Ausübung der täglichen Pflichten nicht unmöglich machen.
– Das Vorkommen in Gräbern steht mit dem Brauch der Kranken- und Sterbendenbuße in Einklang; es wäre sogar schwer verständlich, wenn man den Toten das Bußwerkzeug nicht belassen hätte.

(Vgl.: H. Dannheimer, B. Probst OSB; Bussgürtel oder ärztliche Bandage? Zum christlichen Bussbrauchtum in Mittelalter und Neuzeit. – In Germania Monastica 126/2015)

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Buße tun in Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit.

Ahmet Gott nach als Seine vielgeliebten Kinder
und wandelt in der Liebe,
wie auch Christus uns geliebt und Sich für uns
als Opfergabe hingegeben hat,
Gott zum lieblichen Wohlgeruch.

Unzucht aber und jede Unreinigkeit oder Geiz
sollen unter euch nicht einmal genannt werden,
wie es sich für Heilige [Christen] ziemt;
ebensowenig Schamlosigkeit;
törichtes Gerede und Possen, die sich nicht schicken;
um so mehr aber Danksagung.
Denn das wisset wohl und merket:
Kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Geiziger,
der ja nichts anderes ist als ein Götzendiener
(weil er materielle Dinge zu seinem Götzen macht),
hat Anteil am Reiche Christi und Gottes.

Laßt euch von niemand
mit nichtssagenden Worten verführen;
denn solcher Dinge wegen
kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams.

Werdet also nicht ihre Genossen.

Ihr waret einst Finsternis,
nun aber seid ihr Licht im Herrn.

Wandelt als Kinder des Lichtes!

Die Frucht des Lichtes aber besteht in lauter
Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit.

(Lesung am 3. Fastensonntag, Eph. 5,1-9)

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Bußriten Kranker und Sterbender

Diesen um Buße Nachsuchenden wird, bis in das MA hinein, das Cilicium aus praktischen Gründen nicht übergezogen, sondern überreicht. Zugleich wird es üblich, den kranken Poenitenten in der Kirche auf ein Cilicium zu legen und mit Asche zu bestreuen. Hierdurch verbindet sich der Bußritus mit einer von einer Anzahl Heiliger berichteten Sterbesitte.

So starb Hilarius in der ‚tunica cilicina‘. Josaphat bestattete seinen Vater anstatt mit Königsgewändern ‚in poenitentiae vestimentis‘, also in einem Cilicium. Der von Häretikern tödlich verletzte Bischof von Tournay, Eleutherius (Anf. 6. Jh.), läßt sich als Sterbebett eine Ziegenhaarmatte (stratus cilicinus) hinbreiten. Auf Grund solcher Vorbilder bestimmt die Regel des Klosters Farfa v. J. 1009 generell, dass Sterbende auf ein mit Asche bestreutes Cilicium zu legen sind; denn der Sohn eines Christen darf nur ‚in cinere et cilicio‘ sterben, wie wir es schon an vielen Beispielen von Heiligen erlebt haben.

(Vgl.: H. Dannheimer, B. Probst OSB; Bussgürtel oder ärztliche Bandage? Zum christlichen Bussbrauchtum in Mittelalter und Neuzeit. – In Germania Monastica 126/2015)

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Ignatius von Loyola zu Bußwerkzeugen

Die hier beschriebenen Bußübungen decken sich weitestgehend mit den von Ignatius von Loyola verfassten „Geistlichen Übungen“ (Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen. Nach der Übersetzung von Alfred Feder neu hrsg. von Emmerich Reitz v. Frentz, Freiburg), den zusätzlichen äußeren Bußübungen, die sich auf die Nahrungsaufnahme und auf die Weise des Schlafens erstrecken und nicht zuletzt auf die Kasteiung des Fleisches – indem man ihm nämlich empfindlichen Schmerz bereitet; diesen bringt man ihm bei, indem man Bußhemden oder Stricke oder eiserne Stangen am Leibe trägt und wenn man sich geißelt oder verwundet und andere Arten von Strengheiten übt. Die zuträglichste und sicherste dieser Art von Buße scheint aber darin zu bestehen, dass der Schmerz im Fleisch gefühlt werde und nicht in das Gebein eindringe, so dass er wehe tut, aber keine Erkrankung verursacht.

Darum dünkt es angemessener, sich mit dünnen Stricken zu geißeln, die außen Schmerz bereiten, als auf andere Weise, die innerlich eine erhebliche Erkrankung verursacht.

Die äußeren Bußübungen werden hauptsächlich zu einem dreifachen Zweck verrichtet:
erstens zur Genugtuung für die früheren Sünden;
zweitens, um sich selbst zu überwinden, damit nämlich die Sinnlichkeit der Vernunft gehorche und alle niederen Teile den höheren mehr unterworfen seien;
drittens, um irgendeine Gnade oder eine Gabe, die erwünscht oder ersehnt, zu suchen und zu erhalten, wie z. B. wenn man wünscht, eine innige Reue über seine Sünden zu empfinden oder die Gnade reichlicher Tränen über sie oder über die Peinen und Schmerzen, die Christus, unser Herr, während seines Leidens erduldete, zu erhalten oder die Lösung irgendeines Zweifels, in dem man sich befindet, zu erlangen.

(Vgl.: H. Dannheimer, B. Probst OSB; Bussgürtel oder ärztliche Bandage? Zum christlichen Bussbrauchtum in Mittelalter und Neuzeit. – In Germania Monastica 126/2015)

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Motive für das Tragen von Bußwerkzeugen

Ein Hauptmotiv für das Anlegen des Bußgewandes, insbesondere des Bußgürtels ist die mortificatio (Kirchen-Lexikon 1, Auszügen):

Abtödtung als Act (Werk der Abtödtung), ist jede auf Schwächung der sinnlichen Triebe gerichtete Handlung oder Entsagung, als Tugend die im steten Kampfe mit der unordentlichen Begierlichkeit erworbene Beherrschung des niedern, sinnlichen Theiles der menschlichen Natur durch den höhern geistigen Willen.

Die Pflicht der Abtödtung, schon der Vernunft einleuchtend, weil ein menschenwürdiges Leben ohne Regelung und Beherrschung der sinnlichen Triebe unmöglich ist, ergibt sich für den Christen noch insbesondere aus seiner Berufung zum Leben der Gnade, aus dem ihm zur Nachahmung vorgestellten Beispiele des abgetödteten Lebens unseres Erlösers, aus der Vorschrift des Evangeliums (2Cor. 4,10. Hebr. 12,1-4. Luc. 9,23).

Dem Sünder dient sie als Mittel der Buße und Genugthuung, um die aus der Begierlichkeit entsprungene Sünde an der Begierlichkeit zu strafen und die als Wirkung und Folge aus der Sünde hervorgegangene Mehrung der unordentlichen Lust zu beseitigen; dem Gerechten als Mittel zum Fortschritt im Guten, da man nach den Worten des hl. Hieronymus nur so weit fortschreitet in der Tugend, als man sich selbst (d. h. seiner sinnlichen Natur) Gewalt anthut.

Um den Leib willfähriger zu machen, sich der Herrschaft des Geistes und der göttlichen Gnade und Liebe zu unterwerfen, werden mit großem Nutzen bei sehr vielen Seelen auch Fastenübungen, körperliche Bußwerke und Nachtwachen Anwendung finden, aber nur bei Befolgung nachstehender Regeln:

1. Sie sind nicht anders als unter vollster Unterwerfung unter den Gehorsam zu gestatten und dürfen nie dem eigenen Gutdünken überlassen werden. –
2. Es ist sorgfältig zu wachen, dass durch dieselben die Demuth und Bußfertigkeit des Herzens, nie aber die geistige Eitelkeit und Selbstgefälligkeit Nahrung gewinnen. –
3. Sie sind deßhalb in der Regel nicht zu erlauben, so lange die Seele nicht alles Ernstes daran geht, die unumgänglich nöthige Abtödtung der Rechthaberei und des Eigensinnes, der Zornmüthigkeit und des Neides und der Geschwätzigkeit auf sich zu nehmen. –
4. In Auflegung und Gestattung solcher äußerer Strengheiten ist stets Rücksicht zu nehmen sowohl auf die äußeren Verhältnisse, wie auf den moralischen Zustand der Person, denn nicht Alles ist Allen möglich, nicht Allen ist Alles nützlich. –
5. Die einmal übernommene Bußübung soll beharrlich beibehalten und nicht ohne genügenden Grund abgeändert oder aufgegeben werden. –
6. Um aber dieses zu ermöglichen, sowie zur Erprobung, ob der Anfänger Werke der Buße nicht bloß im ersten unklugen Eifer verlange, um sie nach kurzer Zeit wieder zu unterlassen, ist es zu rathen, dass man anfänglich nur Geringes auflege oder erlaube, und erst allmählich zu Schwererem fortschreite. –
7. Je weniger ein Bußwerk den Charakter des Außerordentlichen und Sonderlichen an sich trägt, je mehr es im Verborgenen und unbemerkt von Anderen vorgenommen werden kann, desto mehr empfiehlt es sich.

(Vgl.: H. Dannheimer, B. Probst OSB; Bussgürtel oder ärztliche Bandage? Zum christlichen Bussbrauchtum in Mittelalter und Neuzeit. – In Germania Monastica 126/2015)

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Cilicium und Bußgürtel aus Draht

In der 3. Auflage des Kirchenlexikons heißt es 1848:

In neuerer Zeit bezeichnet man mit dem Worte Cilicium vielfach aus dickem Draht geflochtene, etwa handbreite Bußgürtel, die mit nach innen gekehrten Spitzen auf bloßem Leibe getragen werden. Diese werden seltener um die Lenden (Stachelgürtel), häufiger um die Arme (Stachelarmbänder) oder um das Bein gelegt. Nach Benedict XIV. sind sie erst seit Beginn des 16. Jahrhunderts in Gebrauch, doch scheint der eiserne stachlige Gürtel, den der hl. Jacobus von Marchia (gest. 1479) trug, schon dieser Art gewesen zu sein. Der in Rede stehende Drahtgürtel hat in neuerer Zeit die alten Cilicien vielfach verdrängt und wird in einzelnen Gegenden auch häufig von Laien angewandt, besonders von den in der Welt lebenden Mitgliedern der dritten Orden des hl. Franciscus und des hl. Dominicus.

Von ärztlicher Seite wurde gegen das Tragen der Cilicien, sowohl der alten wie der neuern, nicht selten Einspruch erhoben, …].

Freilich, was einzelne Heilige aus besonderem Antriebe des Heiligen Geistes gethan, darf nicht Regel für die Menge werden, und es ist nicht zu bezweifeln, dass der indiscrete Gebrauch solcher Bußinstrumente nachtheilig auf die Gesundheit wirkt; aber eben deßhalb unterliegt die Anwendung derselben in Klöstern der steten Controle der Obern, und Laien sollen sich derselben nur mit Erlaubniß und nach Anweisung eines klugen und erfahrenen Beichtvaters bedienen.

(Vgl.: H. Dannheimer, B. Probst OSB; Bussgürtel oder ärztliche Bandage? Zum christlichen Bussbrauchtum in Mittelalter und Neuzeit. – In Germania Monastica 126/2015)

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Aus Haaren geflochten: Cilicium, Bußgürtel

Kurze Erwähnung des Ciliciums in der 1. Auflage des Kirchenlexikons von 1848:

Bußgürtel, ein aus Haaren geflochtenes oder aus Draht gefertigtes Mortificationswerkzeug, das gewöhnlich um die Lenden getragen wird, um durch den dadurch verursachten Schmerz den Sieg über die Sinnlichkeit zu erleichtern und dem Träger die Gelegenheit einer empfindlichen Bußübung zu geben.

Man täuscht sich sehr, wenn man glaubt, dass dergleichen Mittel dem christlichen Alterthume fremd gewesen seien. Die erste Spur der Existenz des Ciliciums findet sich schon in den Worten der hl. Schrift: „ego autem, cum mihi molesti essent, induebarcilicio“ (Ps. 35,13). Die größte Rolle aber spielte das Cilicium im Mittelalter, welches die Pflicht strenger Buße für die begangenen Sünden ernster nahm, als unsere verweichlichte Zeit. Damals war es nichts Seltenes, dass Könige und Königinnen unter fürstlichem Prachtgewande den Bußgürtel verbargen. Jetzt ist er wohl nur mehr in religiösen Orden und in ganz katholischen Ländern bekannt, wenn auch die meisten ascetischen Schriftsteller von ihm sprechen. …

Dass übrigens bei der Anwendung eines solchen Bußmittels mit großer Discretion zu verfahren sei und dass es nicht Jedermann angerathen werden könne, versteht sich von selbst.

Nichtsdestoweniger bleibt die Wahrheit stehen, dass das Cilicium mit so vielen anderen Beweisen christlicher Bußfertigkeit aus dem schöpferischen Worte des Apostels Paulus „castigo corpus meum et in servitutem redigo“ (1. Kor. 9, 27) hervorgewachsen ist.

(Vgl.: H. Dannheimer, B. Probst OSB; Bussgürtel oder ärztliche Bandage? Zum christlichen Bussbrauchtum in Mittelalter und Neuzeit. – In Germania Monastica 126/2015)

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Cilicium – Bußgewand

Das Cilicium [war] ursprünglich ein rauhes Bußgewand von einfachem Schnitte, Anfangs aus Ziegenhaaren, später auch aus Kamel- oder Pferdehaaren gefertigt. Es wurde unter den Oberkleidern auf bloßem Leibe getragen und führte den Namen Cilicium, weil das dazu dienende Zeug zuerst in Cilicien angefertigt wurde. Der Gebrauch härener Bußgewänder ist uralt. Der hebräische und griechische Text der heiligen Schrift bezeichnen sie regelmäßig mit dem Namen Sack, während die Vulgata bei Uebersetzung der betreffenden Stellen bald von Sack, bald von Cilicium redet.

Beide Ausdrücke, Sack und Cilicium, bezeichnen nun allerdings häufig bloß ein härenes Oberkleid, das bei besondern Anlässen zum Zeichen der Trauer oder Buße übergeworfen wurde (Gen. 37,34), nicht selten aber auch (so 3Kön 21,27; 4Kön. 5,60; Judith 8,6; Job 16,16) ein solches Unterkleid, das man unter den Oberkleidern verborgen trug, und das sich seiner Form und Bestimmung nach von dem spätem Cilicium der christlichen Büßer nicht unterschied.

In der christlichen Zeit, besonders seit der Mitte des dritten Jahrhunderts, hat sich der Sprachgebrauch ziemlich allgemein dahin fixiert, dass man das Wort Cilicium nur mehr für das auf bloßem Leibe zu tragende härene Bußkleid anwandte. Die ersten Einsiedler und Mönche bedienten sich häufig nach dem Beispiele und dem Vorgange des hl. Johannes des Täufers (Mat 3,4) eines bis auf die Füße reichenden Ciliciums als Hauptkleides und trugen es auf bloßem Leibe, aber für Jedermann sichtbar. […]

Doch erhielt sich dieser Gebrauch nicht lange, denn, wie Cassian bemerkt, mißbilligten ihn die Väter seiner Zeit allgemein, theils weil das Cilicium, in dieser Weise getragen, leicht Anlaß zu eitler Ueberhebung bieten konnte, theils auch, weil es zu den bei den Mönchen üblichen Handarbeiten untauglich und ungeschickt machte.

Deßhalb wurde es von da an Sitte, dasselbe nur mehr kurz und unter den übrigen Kleidern verborgen zu tragen; –cilicium infra lebitonem indutus divinam implorabat opem-, heißt es schon im Leben des hl. Theodorus, des Schülers des hl. Pachomius. Gewöhnlich hatte es die Gestalt eines engen, meist ärmellosen, kürzern oder längern Hemdes, daher das härene Bußhemd genannt; bisweilen begnügte man sich auch mit einem breiten härenen, zumeist aus Pferdehaaren geflochtenen Gürtel. So besaß der hl. Ludwig, König von Frankreich, außer dem härenen Bußhemd noch drei oder vier derartige Gürtel.

(Vgl.: H. Dannheimer, B. Probst OSB; Bussgürtel oder ärztliche Bandage? Zum christlichen Bussbrauchtum in Mittelalter und Neuzeit. – In Germania Monastica 126/2015)

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