Die stumme Liebe flieht alle Worte

Von der stummen Liebe

O diese stumme Liebe,
Die alle Worte flieht,
Daß sie verborgen bliebe!

O Liebe, die verborgen
Durch allen Wechsel geht,
Auf daß kein Mensch von außen
Ihr tiefes Glück errät,
Und sie kein Dieb erspäht,
Daß ihr nicht würd geraubt
Der Schatz, den sie gefunden.

Je mehr du bleibst verschwiegen,
Je heißer ist dein Brennen,
Und wer dich ganz verschließt,
Wird dich am tiefsten kennen,
Doch wer dich wagt zu nennen,
In Worte fassen will,
Den wird dein Glück verwunden.

Umsonst all sein Bemühen,
Geheime, dich zu künden,
Noch eh er stammelnd sucht
Worte für dich zu finden,
Wird schon von allen Winden
Entführt sein und zerstreut,
Was er als sein empfunden.

Denn soll das Licht den Menschen
Mit stiller Flamme führen,
So halt er es verschlossen,
Verriegle alle Türen,
Laß keinen Hauch es spüren,
Daß nicht das Licht verlischt
Im Sturme dunkler Stunden.

Die tiefe stumme Liebe
Hemmt selbst der Seufzer Wehen.
Sie ist am Tor des Herzens
Als Hüterin zu sehen
Und heißt sie still vergehen,
Daß nichts der Geist ablenkt
Von dem, was er gefunden.

Denn mit der Seufzer Hauch
Will auch der Geist entfliehen,
Läßt gegenwärtges Glück,
Um Fernem nachzuziehen;
Doch fühlt die Scham er glühen
Um das, was er verschwendet,
Bist ewig du entschwunden.

Die tiefe stumme Liebe
Hat Heuchelei verbannt,
Du wirst sie nirgends finden
In ihrem stillen Land.
Sie löscht des Ruhmes Brand.
Es hat sein flüchtig Feuer
Die Liebe überwunden.

Jacopone da Todi

+

Werbung

Die Menschen im Spiegel

Heute bin ich an der Reihe, morgen auch du.

Speculum miseriæ et fragilitatis humanæ.
Hodie mihi cras tibi.

Eine Prüfung für Stolz und Eitelkeit.
Oder:
Ein Spiegel menschlichen Elends und Gebrechlichkeit.

Ein Skelett mit Schlangen und Ratten. Radierung von C. Grignion. – Photo https://wellcomecollection.org/works/au2m2w6y

Charles Grignion der Ältere (1721–1810) wurde in London als Sohn von Hugenotten geboren. Er war ein bekannter und produktiver Kupferstecher und Buchillustrator.

+

Ambrosius – Hieronymus – Augustinus

Die KARDINALTUGENDEN und ihre Bedeutung für ein christliches Leben. -3

Der heilige Ambrosius (+ 397) ist es wohl gewesen, der die vier aus dem Griechentum überkommenen Grundtugenden als Kardinaltugenden bezeichnet hat. Der Kirchenvater Hieronymus (+ 419) spricht von den Kardinaltugenden als dem Viergespann, dessen Wagenlenker Christus ist. Papst Gregor der Große, er stirbt im Jahre 604, verbindet die vier Kardinaltugenden mit den ihnen zugeordneten drei theologischen Tugenden und stellt dann die sieben Tugenden in Parallele zu den sieben Gaben des Heiligen Geistes. Mit Augustinus (+ 430) bezeichnet er die Liebe als den Quellgrund aller Tugenden. An die Spitze der erworbenen Tugenden stellt er jedoch die Demut als die Anführerin und Mutter der übrigen. Das ist übrigens sehr plausibel, wenn man den Hochmut als das eigentliche Fundament aller Sünden und aller Laster bezeichnet.

Der heilige Augustinus spricht sehr häufig über die Kardinaltugenden. Einmal stellt er mit dem Blick auf sie fest: „Möchte doch ihr Wesen ebenso in aller Herzen sein, wie ihr Name in aller Mund ist“. Immer wieder deutet er sie als vier Eigenschaften oder Ausstrahlungen der Liebe, des Grundaffekts des Willens oder der Liebe als übernatürlicher Gottesliebe. Diese Feststellung unterscheidet die christliche Tugendlehre von der Tugendlehre der Römer und der Griechen. Sie konnten nicht sehen, dass die erste und grundlegende natürliche Tugend des Willens nur die Liebe sein kann. In der Antike rechnete man die Liebe zu den bloßen Leidenschaften und erkannte man der Gerechtigkeit den absolut ersten Rang zu.

(Aus Vorträgen von Prof. Dr. Joseph Schumacher, 2005)

+

Grundtugend – Grundhaltung

Die KARDINALTUGENDEN und ihre Bedeutung für ein christliches Leben. -2

In allen großen ethischen Systemen wird die Vielzahl der Einzeltugenden in einer Grundtugend zusammengefasst, in einer Grundtugend oder in einer Grundhaltung.

Für die Griechen ist diese Grundtugend die Tugend der Klugheit bzw. die Tugend der Weisheit, für den Philosophen Kant (+ 1804) ist das Zentrum aller Tugenden das Erfülltsein von dem allgemeinen Gedanken der Pflicht, für den Christen besteht dieses Zentrum in dem Erfasstsein von der sich schenkenden und von der die freie Antwort der Dankbarkeit heischenden Liebe Gottes.

Die Zurückführung der Einzeltugenden auf die vier Kardinaltugenden geht zurück auf den griechischen Philosophen Platon (+ 347 v. Chr.). Er ordnet die vier Kardinaltugenden den vier Seelenvermögen zu, wie er sie unterscheidet:

Die Klugheit ist dem Erkennen zugeordnet, sofern in ihr die Erkenntniskraft in praktischer Hinsicht betätigt wird,
die Gerechtigkeit ist dem Willen zugeordnet, sofern sie dem Willen die feste Richtung auf das erkannte Rechte gibt,
die Mäßigkeit ist zusammen mit der Tapferkeit dem Affektleben zugeordnet, sofern die Tapferkeit das aufbegehrende Affektleben oder die leidenschaftliche Aktivität in Ordnung hält und die Mäßigkeit das begehrende Affektleben.

Platon versteht alle anderen Tugenden als Teiltugenden einer dieser vier Tugenden.

Diese Einteilung haben bereits die Kirchenväter im christlichen Altertum übernommen und in die christliche Tugendlehre eingeführt.

(Aus Vorträgen von Prof. Dr. Joseph Schumacher, 2005)

+

Sieben Tugenden

Die KARDINALTUGENDEN und ihre Bedeutung für ein christliches Leben. -1

Sieben Tugenden prägen das Christenleben.

Die Tugend meint die Stetigkeit des guten Verhaltens,
sie ist dem Laster, der Stetigkeit im schlechten oder bösen Verhalten,
entgegengesetzt.

Die drei ersteren nennen wir göttliche Tugenden
Der Glaube,
die Hoffnung,
die Liebe.

Die anderen vier Tugenden nennen wir Kardinaltugenden.
die Gerechtigkeit,
die Klugheit,
die Tapferkeit
die Mäßigkeit.

(Aus Vorträgen von Prof. Dr. Joseph Schumacher, 2005)

+