Das Sterben des Herrn am Kreuz – 14/14

Die Schauungen der seligen Anna Katharina Emmerick, nach Clemens Brentano.

(…) – Der verwirrte, abergläubige Pilatus war in großen Schrecken und zu aller Regierung unfähig. Das Erdbeben erschütterte seinen Palast, es rollte und schwankte unter ihm, er floh von einem Raum zum andern. Die Toten schrien ihm aus dem Vorhof sein falsches Gericht und widersprechendes Urteil entgegen. Er glaubte, dieses seien die Götter des Propheten Jesus, und sperrte sich in dem heimlichen Winkel seines Schlosses ein, wo er seinen Göttern räucherte und opferte, und er tat ihnen Gelübde, auf daß sie ihm die Götter des Galiläers unschädlich machen möchten. Herodes war in seinem Palast wie unsinnig vor Angst und ließ alles zusperren.

Es waren wohl an hundert Verstorbene aus aller Zeit, welche in Jerusalem und in der Umgegend mit ihren Leibern sich aus den eingestürzten Gräbern erhoben und meistens paarweise zu einzelnen Stellen der Stadt wanderten, dem hin- und herfliehenden Volk entgegentraten und mit kurzen Strafworten von Jesus zeugten. Die meisten Gräber lagen einsam draußen in den Tälern, aber es waren auch viele in den neuangelegten Teilen der Stadt, besonders in der Gartengegend gegen Nordwest, zwischen dem Ecktor und Kreuzigungstor, und auch um und unter dem Tempel waren viele vergessene, heimliche Gräber.

Nicht alle die Leichname, die beim Einsturz der Gräber sichtbar wurden, standen auf; manche wurden bloß sichtbar, weil die Gräber gemeinschaftlich waren. Viele aber, deren Seelen Jesus aus der Vorhölle emporgesendet, richteten sich auf, erhoben die Gesichtsklappen ihrer Leichenverhüllung und schritten wie schwebend durch die Straßen zu den Ihrigen hin.

Sie traten in die Häuser ihrer Nachkommen mit drohenden Strafreden über die Teilnahme am Mord Jesu.

Ich sah die einzelnen Gestalten, wie sie befreundet waren, zusammenkommen und paarweise durch die Straßen der Stadt ziehen. Ich sah die Bewegung ihrer Füße unter der langen Totenkleidung nicht, sie strichen wie schwebend leicht über den Boden hin, ihre Hände waren teils verschlungen in breiten Binden, teils hingen die weiten, um die Arme gebundenen Ärmel lang über die Hände nieder. Die Gesichtsdecken waren aufgeschlagen über das Haupt, die bleichen, gelben Gesichter sahen trocken und verdorrt aus den langen Barten hervor; die Stimmen klangen fremd und ungewohnt, und diese Stimmen und das Hinstreichen von Ort zu Ort, unaufhaltsam und unbekümmert um alles umher, war ihre einzige Äußerung, ja sie schienen nichts als Stimmen. Sie waren nach den Sitten ihrer Sterbezeit, nach Stand und Alter etwas verschieden gekleidet. An den Scheidewegen, wo die Todesstrafe Jesu vor dem Zug nach Golgota ausposaunt worden war, standen sie still und riefen Jesu Ruhm aus und Wehe den Mördern. Die Menschen standen fern, hörten und zitterten und flohen, wenn sie vorwärtsschritten.

Auf dem Forum vor Pilatus‘ Palast hörte ich sie drohende Worte ausrufen, ich erinnere mich des Wortes:
«Blutiger Richter.»

Alles Volk floh in die äußersten Winkel der Häuser und versteckte sich, es war eine große Angst in der Stadt; um vier Uhr ungefähr kehrten die Leichen zu den Gräbern zurück. Nach Christi Auferstehung erschienen aber hie und da noch viele Geister. Das Opfer war unterbrochen und alles in Verwirrung, nur ein kleiner Teil des Volkes aß das Osterlamm am Abend.

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Das Sterben des Herrn am Kreuz – 13/14

Die Schauungen der seligen Anna Katharina Emmerick, nach Clemens Brentano.

(…) – Der Lehrstuhl stürzte in der Vorhalle zusammen.

Viele der zuletzt zum Kalvarienberg gerittenen 32 Pharisäer waren unter dieser Verwirrung zum Tempel zurückgekehrt, und da sie sich unter dem Kreuz bekehrt hatten, erschütterten sie alle diese Zeichen um so mehr, so daß sie Annas und Kaiphas heftige Vorwürfe machten und sich vom Tempel zurückzogen.

Annas, eigentlich der heimliche Hauptfeind Jesu, der seit langem alle versteckten Ränke gegen ihn und die Jünger geleitet und auch die Ankläger unterrichtet hatte, war wie unsinnig vor Angst und floh von einem Winkel in den andern in den verborgenen Gemächern des Tempels. Ich sah ihn wie in Krämpfen unter Winseln und Geschrei ganz verkrümmt in einen versteckten Raum gebracht werden und von mehreren seiner Anhänger umgeben. Kaiphas hatte ihn einmal fest umarmt, um seinen Mut aufzurichten, aber vergebens; die Erscheinung der Toten hatte ihn ganz in Verzweiflung gebracht.

Kaiphas, wiewohl in tiefer Angst, hatte einen so stolzen und hartnäckigen Teufel in sich, daß er sich sein Entsetzen nicht merken ließ. Er bot allen Trotz und setzte den drohenden Zeichen Gottes und seiner verborgenen Angst seinen Grimm und Stolz mit frecher Stirne entgegen.

Als er aber den Fortgang der heiligen Handlungen nicht mehr anhalten konnte, verbarg er und gebot er alle Ereignisse und Erscheinungen zu verbergen, die nicht der ganzen Menge bekanntgeworden.

Er selbst sprach und ließ andere Priester sprechen, diese Erscheinungen des Zornes Gottes seien durch die Anhänger des gekreuzigten Galiläers veranlaßt, welche verunreinigt zum Tempel gekommen wären; nur die Feinde des heiligen Gesetzes, das auch Jesus habe umstoßen wollen, hätten diesen Schrecken herbeigeführt, und vieles sei der Zauberei des Galiläers zuzuschreiben, der auch im Tode, wie im Leben, die Ruhe des Tempels gestört habe. So gelang es ihm, viele zu beschwichtigen und anderen durch Drohungen Furcht einzujagen; viele jedoch waren tief erschüttert und verbargen ihre Gesinnung. Das Fest ward bis zur Reinigung des Tempels aufgeschoben. Viele Lämmer waren nicht geschlachtet, das Volk zerstreute sich nach und nach.

Das Grab des Zacharias unter der Tempelmauer war unten eingesunken und zerstört und dadurch Steine aus den Mauern gefallen.

Zacharias ist heraus-, aber nicht hier wieder hineingegangen, ich weiß nicht, wo er seine Hülle wieder abgelegt hat. Die erstandenen Söhne Simon Justi legten ihre Leiber wieder in die Gruft, als der Leib Jesu zu Grabe bereitet wurde. Während alles dieses im Tempel vorging, herrschte an vielen Orten von Jerusalem ein gleicher Schrecken. Gleich nach drei Uhr stürzten viele Gräber, besonders in der nordwestlichen Gartengegend, innerhalb der Stadt ein. Ich sah hie und da die eingehüllten Toten darin liegen, in anderen lagen vermoderte Lumpen und Gerippe, aus manchen drang ein unleidlicher Gestank.

Es stürzten in des Kaiphas Richthaus die Stufen ein, worauf Jesus verspottet gestanden, auch ein Teil der Feuerstelle in der Vorhalle daselbst, wo die Verleugnung des Petrus begonnen. Es ward eine solche Zerstörung, daß man einen neuen Eingang nehmen mußte. Hier erschien die Leiche des Hohenpriesters Simon Justus, aus dessen Geschlecht Simeon war, der bei Jesu Opferung im Tempel weissagte. Diese Erscheinung sprach einige drohende Worte über das ungerechte Urteil, das hier gefällt worden, aus.

Es waren mehrere vom Synedrium versammelt. Die Leute, welche gestern nacht dem Petrus und Johannes Eingang verschafft hatten, bekehrten sich und flohen in die Höhlen zu den Jüngern. – Bei dem Palast des Pilatus zerbrach der Stein und sank die Stelle, worauf Jesus von Pilatus dem Volk dargestellt worden war. Alles wankte und bebte, und in dem Hof des nahen Richthauses sank die ganze Stelle ein, wo die Leiber der unschuldigen Kinder verscharrt waren, die Herodes hatte ermorden lassen.

Noch an mehreren Stellen der Stadt stürzten Wände ein und zerspalteten sich Mauern; doch ward kein ganzes Gebäude zertrümmert.

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Das Sterben des Herrn am Kreuz – 12/14

Die Schauungen der seligen Anna Katharina Emmerick, nach Clemens Brentano.

(…) – Erdbeben, Erscheinung der Toten in Jerusalem

Als Jesus mit lautem Ruf seinen Geist in die Hände seines himmlischen Vaters aufgab, sah ich seine Seele, eine Lichtgestalt, bei dem Kreuz zur Erde niederfahren, und mit ihr eine leuchtende Schar von Engeln, darunter auch Gabriel; ich sah durch diese Engel eine große Menge von bösen Geistern von der Erde in den Abgrund niedertreiben. Jesus aber sendete viele Seelen aus der Vorhölle hinauf in ihre Leiber, die Unbußfertigen zu schrecken und zu mahnen und ein Zeugnis von ihm zu geben.

Mit dem Erdstoß bei Jesu Tod, da der Kaivariafels zersprang, stürzte und sank vieles in der Welt, besonders in Palästina und Jerusalem. Sie hatten sich in der Stadt und dem Tempel kaum etwas bei der weichenden Finsternis beruhigt, als das Beben des Grundes, das Getöse des Einstürzens an vielen Orten einen noch allgemeineren Schrecken verbreitete. Den fliehenden und wehklagend durcheinander eilenden Menschen aber traten zum äußersten Entsetzen hie und da die erstandenen, wandelnden, mit hohler Stimme mahnenden Leichen entgegen.

Im Tempel hatten die Hohenpriester das Schlachten, welches durch den Schrecken der Finsternis etwas gestört worden, eben wieder in Gang gebracht und triumphierten über das rückkehrende Licht, als plötzlich der Grund bebte, ein dumpfes Getöse gehört wurde und das Krachen einstürzender Mauern, von dem zischenden Reißen des Vorhangs begleitet, einen Augenblick der stummen Angst in der ungeheuren Menge erweckte, der bald hie und da von Wehgeschrei unterbrochen ward. Aber die Menge war so geordnet, das ungeheure Gebäude des Tempels so erfüllt und das Heran- und Zurückschreiten der großen Scharen der schlachtenden Menschen so regelmäßig bestimmt, und die Handlung des Schlachtens, Blutauslassens und Sprengens des Blutes am Altar durch die langen Reihen unzähliger Priester, von lautem Gesang und Posaunenschall umtönt, war so zusammenhängend und verkettet, daß der Schrecken nicht gleich in allgemeine Verwirrung und Auflösung überging.

So setzte sich denn in dem ungeheuren Gebäude, den vielen Räumen und Gängen die Opfertätigkeit in einzelnen Gegenden noch ruhig fort, während Schrecken und Entsetzen an andern Orten ausbrach und am dritten durch die Priester wieder gestillt wurde, bis endlich durch die Erscheinung der Toten hie und da im Tempel sich alles auflöste und das Opfer, als sei der Tempel verunreinigt, unterbrochen wurde. Doch auch dieses Ereignis kam nicht so plötzlich über die Menge, daß sie sich erdrückend, fliehend die vielen Tempelstufen herabgestürzt hätte, sondern sie löste sich nach und nach, in Massen niedereilend, auf, während andere Teile hie und da wieder durch die Priester und durch die Absonderungen zusammengehalten wurden. Doch war die Angst, der Schrecken in verschiedenen Graden im ganzen unbeschreiblich.

Man kann sich ein Bild der Ordnung und Störung, die hier herrschte, machen, wenn man sich einen großen Ameisenhaufen in voller geordneter Tätigkeit vorstellt, in welchen Steine geworfen oder der hie und da mit einem Stab zerwühlt wird; während hier sich alles verwirrt, geht dort die Tätigkeit noch den ungestörten Gang und wird an erwählten Orten auch gleich wieder gedeckt und hergestellt.

Der Hohepriester Kaiphas und sein Anhang aber verlor mit verzweifelter Frechheit den Kopf nicht, und gleich der klugen Obrigkeit einer aufrührerischen Stadt brach er durch Drohung, Trennung der Parteien, Zureden und allerlei Vorspiegelungen die Gefahr und erreichte besonders durch seine teuflische Hartnäckigkeit und scheinbare Ruhe so viel, daß nicht eine allgemeine verderbliche Verwirrung ausbrach und daß die Meinung des ganzen Volkes diese schrecklichen Mahnungen nicht als ein Zeugnis für den unschuldigen Tod Jesu auslegte.

Auch die römische Besatzung der Burg Antonia tat alles, die Ordnung zu erhalten, und so waren zwar der Schrecken und die Verwirrung groß und erfolgte die Auflösung des Festes, aber ohne Aufstand, und die Flamme ward zu einer glimmenden Angst, welche das Volk, nach und nach zerstreut, mit nach Hause nahm und die dort bei den meisten durch die Tätigkeit der Pharisäer wieder unterdrückt wurde.

So war es im allgemeinen. Die einzelnen Ereignisse, deren ich mich entsinne, waren folgende: Die beiden großen Säulen des Einganges in das Sanktum des Tempels, zwischen welchen ein prächtiger Vorhang niederhing, wichen oben auseinander, die linke nach Süden, die rechte nach Norden; die Schwelle, die sie trugen, sank, und der große Vorhang zerriß zischend von oben nach unten der Länge nach, so daß er, sich öffnend, nach beiden Seiten niederfiel. Dieser Vorhang war rot, blau, weiß und gelb. Es waren viele Himmelskreise darauf abgebildet, auch Figuren, wie die eherne Schlange. Man konnte nun in das Sanktum hineinsehen. An Simeons Betzelle neben dem Sanktum in den nördlichen Mauern stürzte ein großer Stein heraus, und das Gewölbe der Zelle stürzte ein. In einigen Hallen sank hie und da der Boden, Schwellen verrückten sich und Säulen wichen.

Im Sanktum erschien der zwischen Tempel und Altar erschlagene Hohepriester Zacharias und sprach drohende Worte aus. Auch sprach er von dem Tod des andern Zacharias und des Johannes, wie überhaupt vom Morde der Propheten. Er kam von der Öffnung her, welche der bei Simeons Betzelle
ausgefallene Stein gebildet hatte, und redete die Priester im Sanktum an.

Zwei früh verstorbene Söhne des frommen Hohenpriesters Simon Justus, der ein Ältervater des alten, bei Jesu Opferung im Tempel weissagenden Priesters Simeon gewesen ist, erschienen wie Geister in größerer Gestalt auf dem Lehrstuhl und sprachen drohende Worte vom Mord der Propheten und dem Opfer, das nun zu Ende gehe, und ermahnten alle, sich zu der Lehre des Gekreuzigten zu wenden.

Am Altar erschien Jeremias und sprach drohende Worte, das Opfer sei zu Ende und es beginne ein neues Opfer. Diese Reden und Erscheinungen an Orten, wo Kaiphas oder die Priester sie allein vernommen hatten, wurden verleugnet und verheimlicht und unter schwerem Bann verboten, davon zu sprechen.

Aber es entstand noch ein großes Geräusch, die Türen des Heiligtumes sprangen auf, und es ertönte eine Stimme:
«Laßt uns von dannen ziehen!»

Ich sah Engel aus dem Tempel weichen. Der Altar des Rauchopfers bebte, und ein Rauchgefäß stürzte um, der Behälter der Schriftrollen fiel ein, und alle Rollen stürzten durcheinander, die Verwirrung wuchs, man wußte die Zeit nicht mehr.

Nikodemus, Joseph von Arimathäa und viele andere trennten sich vom Tempel und gingen hinweg. Es lagen hie und da tote Leiber, andere wandelten durch das Volk in einzelne Hallen und sprachen drohende Worte; mit der Stimme der vom Tempel scheidenden Engel kehrten sie zu den Gräbern zurück.

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Das Sterben des Herrn am Kreuz – 11/14

Die Schauungen der seligen Anna Katharina Emmerick, nach Clemens Brentano.

(…) – Da nun die Stunde des Herrn gekommen war, rang er mit dem Tode, und ein kalter Schweiß drang aus seinen Gliedern. Johannes stand am Kreuz und trocknete Jesu Füße mit seinem Schweißtuch. Magdalena lehnte, ganz von Schmerz zermalmt, an der Rückseite des Kreuzes. Die Heilige Jungfrau stand zwischen Jesus und des guten Schachers Kreuz, von den Armen der Maria Cleophä und der Salome unterstützt, und sah zu ihrem sterbenden Sohn hinauf. Da sprach Jesus:
«Es ist vollbracht!»,
und richtete das Haupt empor und rief mit lauter Stimme:
«Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!»

Es war ein süßer lauter Schrei, der Himmel und Erde durchdrang; dann senkte er sein Haupt und gab seinen Geist auf, und ich sah seine Seele wie einen leuchtenden Schatten bei dem Kreuz zur Erde hinab in den Kreis der Vorhölle fahren.

Johannes und die heiligen Frauen sanken zur Erde auf ihr Antlitz nieder.

Abenadar, der Hauptmann, von Geburt ein Araber, als Jünger nachmals Ktesiphon getauft, hielt, seit er Jesus mit dem Essig tränkte, auf seinem Pferd dicht am Kreuzhügel, so daß der Vorderteil des Tieres erhöht stand. Er schaute lange tieferschüttert, ernst, unabgewandt ins dornengekrönte Antlitz unseres Herrn. Des Rosses Haupt war bang und krank gesenkt, und Abenadar, dessen Stolz sich beugte, zog auch den Zügel nicht an. Da sprach der Herr die letzten Worte laut und kräftig und starb mit Erde, Holl‘ und Himmel laut durchdringendem Geschrei.

Die Erde bebte, und der Fels zerbarst weit klaffend zwischen Jesus und des linken Schachers Kreuz. Das Zeugnis Gottes ging mit Schreck und Schauder mahnend tief durch die trauernde Natur. Es war vollbracht – die Seele unseres Herrn verließ den Leib, und bei dem Todesschrei des sterbenden Erlösers erbebten alle, die es hörten, mit der Erde, die wallend ihren Heiland anerkannte, doch die verwandten Herzen nur durchfuhr ein scharfes Schwert des Schmerzes. Da war es, daß die Gnade über Abenadar kam, da zitterte sein Roß und wankte seine Leidenschaft und brach sein stolzer, harter Sinn gleich dem Kaivariafels. Er warf den Speer von sich und schlug mit starker Faust gewaltig an sein Herz, laut schreiend mit der Stimme eines neuen Menschen:
«Gelobt sei Gott, der Allmächtige, der Gott Abrahams und Jakobs, dieser war ein gerechter Mann, wahrhaftig er ist Gottes Sohn!»

Und viele der Soldaten, von des Hauptmanns Wort erschüttert, taten ebenso wie er.

Es wollte aber Abenadar, der nun ein neuer, ein erlöster Mensch war, nachdem er öffentlich dem Sohne Gottes huldigte, nicht länger mehr im Dienst seiner Feinde stehen. Er wendete sein Pferd zu Cassius, dem Unteroffizier, den man Longinus nennt, stieg ab, hob seine Lanze auf und gab sie ihm, sprach einiges zu den Soldaten und zu Cassius, der nun das Pferd bestieg und hier befehligte; denn Abenadar eilte vom Kalvarienberg und durch das Tal Gihon zu den Höhlen des Tales Hinnom; er kündigte den dort verborgenen Jüngern den Tod des Herrn an und eilte weiter zu Pilatus in die Stadt.

Es kam ein tiefes Erschrecken über alle Anwesenden mit dem Todesschrei Jesu, als die Erde bebte und der Kreuzhügel zersprang, es war ein Schrecken, der durch die ganze Natur ging, denn da zerriß auch der Vorhang des Tempels, da stiegen viele Tote aus den Gräbern, da sanken Wände im Tempel, stürzten Berge und Gebäude in vielen Weltgegenden ein. Abenadar rief sein Zeugnis aus, viele Soldaten zeugten mit ihm, viele aus dem anwesenden Volk und den zuletzt gekommenen Pharisäern bekehrten sich. Viele schlugen an die Brust, wehklagten und irrten vom Berg durch das Tal nach Hause.

Andere zerrissen ihre Kleider und streuten Staub auf ihr Haupt. Alles war voll Furcht und Schrecken. Johannes richtete sich auf, mehrere der heiligen Frauen, die bisher entfernt gestanden, drangen in den Kreis, sie erhoben die Mutter Jesu und die Freundinnen und führten sie aus dem Kreis hinaus, um sie zu erquicken.

Da der liebende Herr alles Lebens die martervolle Schuld des Todes für die Sünder zahlte, als Mensch seine Seele seinem Gott und Vater empfahl und seinen Leib dahingab in den Tod, überzog dieses heilige zerschmetterte Gefäß die bleiche kalte Farbe des Todes.

Sein Leib erzitterte in Schmerzen und ward weiß, und die Ströme des an den Wundstellen niedergeronnenen Blutes erschienen dunkler und deutlicher.

Sein Angesicht ward länger, seine Wangen sanken ganz ein, seine Nase ward schmaler und spitzer, seine Kinnlade sank nieder, seine geschlossenen, blutvollen Augen öffneten sich halbgebrochen, er hob das dornengekrönte Haupt zum letzten Mal wenige Augenblicke und ließ es sinken auf die Brust unter der Last der Schmerzen, seine Lippen, blau und gespannt, zeigten in dem offenen Mund die blutige Zunge.

Seine Hände, früher um die Nägelköpfe gekrümmt, öffneten sich und sanken mehr hervor, indem die Arme sich ganz streckten, sein Rücken gegen das Kreuz sich anschloß und die ganze Last des heiligen Leibes auf die Füße niedersank.

Da sanken seine Knie zusammen, nach einer Seite sich wendend, und es drehten sich seine Füße etwas um den Nagel, der sie durchbohrte.

Da erstarrten die Hände seiner Mutter, ihre Augen verdunkelten sich, Todesbleiche bedeckte sie, ihre Ohren hörten nicht mehr, ihre Füße wankten, sie sank zur Erde, und auch Magdalena, Johannes und die andern sanken mit verhülltem Angesicht, dem Schmerz hingegeben, nieder.

Und als die liebeste, traurigste Mutter aufgerichtet ward von den Freunden und die Augen emporrichtete, sah sie den vom Heiligen Geist rein empfangenen Leib ihres Sohnes, das Fleisch von ihrem Fleisch, das Gebein von ihrem Gebein, das Herz von ihrem Herzen, das heilige Gefäß, aus ihrem Schoß in göttlicher Überschattung gebildet, nun aller Zier, aller Gestalt und seiner heiligsten Seele beraubt, hingegen den Gesetzen der Natur, die er geschaffen und die der Mensch in Sünde mißbraucht und entstellt hat, von den Händen derjenigen, die herzustellen und zu beleben er gekommen war ins Fleisch, zertrümmert, mißhandelt, entstellt, getötet.

Ach! Ausgestoßen, verachtet, verhöhnt hing, einem Aussätzigen gleich, das ausgeleerte Gefäß aller Schönheit, Wahrheit und Liebe zerrissen am Kreuz zwischen Mördern.

Wer faßt den Schmerz der Mutter Jesu, der Königin aller Märtyrer! Das Licht der Sonne war noch trüb und neblig, es war schwül und drückende Luft bei dem Beben der Erde, nachher aber folgte eine empfindliche Kühle.

Die Gestalt von unseres Herrn Leichnam am Kreuz war ungemein ehrbar und rührend. Die Schacher hingen in schrecklicher Verdrehung wie betrunken da, sie schwiegen zuletzt beide, Dismas betete.

Es war bald nach drei Uhr, da Jesus verschied. Als der erste Schrecken des Erdstoßes vorüber war, wurden mehrere der Pharisäer frecher. Sie nahten dem Riß des Kalvarienberges, warfen Steine hinab, banden Stricke zusammen und ließen sie hinab, als sie aber den Grund nicht erreichen konnten, wurden sie etwas bedenklicher, auch ergriff sie das Wehklagen und das Brustschlagen des Volkes, und sie ritten von dannen. Mehrere waren ganz verwandelt in ihrem Innern.

Auch das Volk verlor sich bald nach der Stadt und durch das Tal in Schrecken und Angst. Viele hatten sich bekehrt. Ein Teil der anwesenden fünfzig römischen Soldaten verstärkte die Wache am Tor, bis die verlangten 500 andern ankamen. Das Tor war geschlossen worden, einige der Soldaten hatten andere Posten umher besetzt, um Zulauf und Verwirrung zu verhüten. Cassius (Longinus) und etwa fünf Soldaten blieben in dem Kreis, sie lagen an der Umwallung umher. Die Verwandten Jesu umgaben das Kreuz und saßen ihm gegenüber und wehklagten und trauerten. Mehrere der heiligen Frauen waren zur Stadt gekehrt.

Es war einsam, still und traurig. Aus der Ferne im Tal und auf entlegenen Höhen erschien hie und da scheu einer der Jünger und schaute furchtsam und neugierig nach dem Kreuz und zog sich bei jeder Annäherung von Menschen wieder zurück.

(…)

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Das Sterben des Herrn am Kreuz – 10/14

Die Schauungen der seligen Anna Katharina Emmerick, nach Clemens Brentano.

(…) – Tod Jesu
Fünftes bis siebentes Wort Jesu am Kreuz

Als es heller ward, erschien der Leib des Herrn am Kreuz bleich, schwach, wie ganz verschmachtet und weißer als vorher, so sehr war er verblutet. Er sagte auch, ich weiß nicht, ob betend und mir allein vernehmlich oder ob halblaut:
«Ich bin gepreßt wie der Wein, der hier zuerst gekeltert worden, all mein Blut muß ich geben, bis das Wasser kommt und die Hülsen weiß werden, es soll aber kein Wein mehr hier gekeltert werden.»

Ich sah später in bezug auf diese Worte ein Bild, wie Japhet hier auf dieser Stelle den Wein gekeltert hat, das ich später erzählen will. Jesus war ganz verschmachtet und sprach mit vertrockneter Zunge:
«Mich dürstet» – und da die Seinigen ihn traurig ansahen, sagte er:
«Konntet ihr mir nicht einen Trunk Wasser geben?»

Er meinte, während der Finsternis hätte sie wohl niemand gehindert. Johannes sagte betrübt:
«O Herr! Wir haben es vergessen»,
und Jesus sagte noch soviel wie:
«Auch die Nächsten mußten mich vergessen und mir keinen Trunk reichen, auf daß die Schrift erfüllt würde.» –

Es hatte ihm aber dieses Vergessen bitter weh getan. Auf seine Klage baten sie die Soldaten und boten ihnen Geld an, ihm einen Trunk Wasser zu reichen, sie taten es aber nicht, sondern einer tauchte einen birnförmigen Schwamm in Essig, der in einem Tönnchen von Bast dastand, und goß auch Galle hinein. Aber der Hauptmann Abenadar war von Jesus gerührt, er nahm dem Soldaten den Schwamm, drückte ihn aus und füllte ihn mit reinem Essig. Er steckte hierauf das eine Ende des Schwammes in ein kurzes Stück Ysoprohr, welches wie ein Mundstück zum Saugen diente, und hob diese auf der Spitze seiner Lanze befestigte Vorrichtung so zu dem Antlitz Jesu empor, daß das Rohrstück zu dem Mund Jesu gelangte und dieser durch dasselbe den Essig aus dem Schwamm saugen konnte. Von einigen Worten, welche ich den Herrn noch zur Ermahnung des Volkes sprechen hörte, erinnere ich mich allein, daß er sagte: «Und wenn ich keine Stimme mehr habe, wird der Mund der Toten sprechen»; worauf einige ausriefen:
«Er lästert noch!»
Abenadar aber gebot Ruhe.

(…)

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Das Sterben des Herrn am Kreuz – 9/14

Die Schauungen der seligen Anna Katharina Emmerick, nach Clemens Brentano.

(…) – In diesem Leid errang uns der liebende Jesus die Kraft, in dem äußersten Elende der Verlassenheit, wenn alle Bande und Beziehungen mit jenem Dasein und Leben, jener Welt und Natur aufhören, in denen wir hienieden stehen, und wenn also auch jene Aussichten sich schließen, welche dieses Leben aus sich selbst zu einem andern Dasein eröffnet, durch die Vereinigung unserer Verlassenheit mit den Verdiensten seiner Verlassenheit am Kreuz siegreich zu bestehen.

Er errang uns die Verdienste des Bestehens im äußersten Kampf gänzlicher Verlassenheit und opferte sein Elend, seine Armut, seine Verlassenheit für uns elende Sünder auf, so daß der mit Jesus im Leibe der Kirche vereinigte Mensch nicht mehr verzweifeln darf in der äußersten Stunde, wenn sich alles verfinstert und alles Licht scheidet und aller Trost.

In diese Wüste der inneren Nacht brauchen wir nicht mehr einsam und gefährdet hinabzusteigen!

Jesus hat in den Abgrund des bitteren Meeres dieser Verlassenheit seine innere und äußere Verlassenheit am Kreuze hinabgesenkt, und so hat er den Christen in der Verlassenheit des Todes, in der Verfinsterung allen Trostes nicht mehr einsam gelassen. Es gibt keine Wüste, keine Einsamkeit, keine Verlassenheit, keine Verzweiflung in letzter Todesnot mehr für den Christen, denn Jesus, der das Licht, der Weg und die Wahrheit ist, ist auch diesen finsteren Weg segnend und alle Schrecken bändigend gewandelt und hat sein Kreuz in dieser Wüste aufgerichtet.

Jesus, ganz verlassen, ganz arm, ganz hilflos, gab, wie die Liebe tut, sich selbst hin, ja er machte seine Verlassenheit selbst zu einem reichsten Schatz, denn er opferte sich und all sein Leben, Arbeiten, Lieben und Leiden und das bittere Gefühl unseres Undankes seinem himmlischen Vater für unsere Schwachheit und Armut auf. Er machte vor Gott sein Testament und gab all sein Verdienst der Kirche und den Sündern. Er gedachte aller, er war in seiner Verlassenheit bei allen, bis ans Ende der Zeit, und so betete er auch für jene Irrgläubigen, welche meinen, er habe als Gott sein Leiden nicht gefühlt und habe nicht oder nur weniger gelitten als ein Mensch, der in solchen Leiden stehen würde.

Indem ich aber seines Gebets teilhaftig und mitfühlend wurde, vernahm ich, als sage er, man solle doch ja lehren, daß er dieses Leiden der Verlassenheit bitterer, als ein Mensch es vermag, gelitten habe, weil er ganz mit der Gottheit vereint, weil er ganz Gott und Mensch war und nun im Gefühl der von Gott verlassenen Menschheit als Gottmensch das Leiden der Verlassenheit vollkommen in seinem ganzen Maß fühlend erschöpfte.

Und so rief er in seinem Leiden das Zeugnis seiner Verlassenheit aus und eröffnete damit allen äußerst Bedrängten, welche Gott als ihren Vater erkennen, die Freiheit zu vertrauter
kindlicher Klage. –

Jesus rief gegen 3 Uhr mit lauter Stimme:
«Eli, Eli. Lama Sabachtani!»
Das heißt:
«Mein Gott. Mein Gott. Warum hast du mich verlassen?»

Als dieser Ruf unseres Herrn die bange Stille umher unterbrach, wendeten sich die Spötter wieder zum Kreuz, und einer sprach:
«Er ruft den Elias»,
ein anderer:
«Wir wollen sehen, ob Elias kommt und ihm herunterhilft.»

Die Mutter aber, da sie die Stimme ihres Sohnes hörte, konnte nichts mehr zurückhalten, sie drang wieder zu dem Kreuz hin, und Johannes, Maria Cleophä, Magdalena und Salome folgten ihr.

Es war, während das Volk umherzagte und wehklagte, ein Zug von etwa dreißig reitenden vornehmen Männern, aus Judäa und der Gegend von Joppe zum Feste ziehend, angekommen, und da sie das schreckliche Verfahren mit Jesus und die drohenden Erscheinungen in der Natur sahen, sprachen sie ihr Entsetzen laut aus und riefen:
«Wehe! Man sollte diese greuliche Stadt, wäre der Tempel Gottes nicht in ihr, niederbrennen, solche Schuld hat sie auf sich geladen!»

Diese Äußerung der vornehmen Fremden ward dem Volk eine Stütze. Murren und Wehklagen brach nun überall aus, und die Gleichgesinnten zogen sich zusammen.

Alle Anwesenden zerfielen in zwei Parteien, der eine Teil wehklagte und murrte, die anderen schimpften und tobten dagegen, die Pharisäer aber wurden immer kleinlauter, und weil sie einen Aufstand des Volkes fürchteten, da auch in Jerusalem eine große Bestürzung herrschte, so besprachen sie sich mit dem Hauptmann Abenadar, worauf man zum nahen Tor sendete und es schließen ließ, um die Verbindung mit der Stadt zu unterbrechen, und durch einen Boten fünfhundert Mann von Pilatus‘ und Herodes‘ Leibwache begehrte, um einem Aufstand vorzubeugen.

Einstweilen schaffte der Hauptmann Abenadar durch seinen Ernst Ordnung und Ruhe und untersagte den Hohn, um das Volk nicht zu reizen.

Bald nach drei Uhr ward es heller, der Mond begann von der Sonne zu weichen, und zwar nach entgegengesetzter Richtung. Die Sonne erschien strahllos, umnebelt und rot, und der Mond sank schnell nach der entgegengesetzten Seite, als wenn er falle. Es kehrten auch die Sonnenstrahlen nach und nach zurück, und die Sterne verschwanden, doch war es noch immer trübe. Mit dem nahenden Licht wurden die Spötter wieder kühner und triumphierten, und da geschah es, daß sie sagten:
«Er ruft den Elias.»
Abenadar aber gebot Ruhe und Ordnung.

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Das Sterben des Herrn am Kreuz – 8/14

Die Schauungen der seligen Anna Katharina Emmerick, nach Clemens Brentano.

(…) – Verlassenheit Jesu
Viertes Wort Jesu am Kreuz

Auf Golgota machte die Finsternis einen wunderbar fürchterlichen Eindruck. Das greuliche Toben und Martern, das Geschrei und die fluchende Tätigkeit bei der Kreuzaufrichtung, die Anknebelung und das Gebrüll der beiden Schacher, das Höhnen und Umherreiten der Pharisäer, der Wechsel der Soldaten, das lärmende Abziehen der berauschten Henker hatte im Anfange der Verfinsterung den Eindruck zerstreut, und dann folgte die Strafrede des reumütigen Dismas und die Wut der Pharisäer gegen ihn. Nun aber wuchs die Finsternis, die Zuschauer wurden ernster und vom Kreuz abgewendeter.

Da empfahl Jesus seine Mutter dem Johannes, und sie ward hierauf aus dem Kreise hinausgebracht. Es trat jetzt eine dumpfe Pause ein, das Volk ward bange bei der zunehmenden Finsternis, die meisten schauten zum Himmel, in vielen regte sich das Gewissen, manche wendeten die Augen reumütig zum Kreuz, viele schlugen an die Brust und bereuten, die Gleichgesinnten zogen sich nach und nach zusammen, die Pharisäer, heimlich bang, erklärten alles noch natürlich, aber ihre Reden wurden immer kleinlauter und verstummten endlich fast ganz. Hie und da stießen sie wohl noch ein freches Wort aus, aber es machte sich sehr gezwungen.

Der Kern der Sonne war fahldunkel wie Berge im Mondschein, ein roter Ring umgab sie, die Sterne traten mit rötlichem Lichte hervor, die Vögel fielen aus der Luft auf dem Kalvarienberg und in den nahen Weinbergen zwischen die Menschen nieder und ließen sich mit Händen greifen, die Tiere umher brüllten und zitterten, die Pferde und Esel der berittenen Pharisäer drängten sich zusammen und ließen die Köpfe hängen. Dampf und Nebel umgab alles.

Um das Kreuz war es stille, alles war abgewendet, viele Leute flohen zur Stadt. Der gekreuzigte Heiland war mit dem Gefühl der tiefsten Verlassenheit in seiner unendlichen Marter, seine Feinde liebend und für sie betend, zu seinem himmlischen Vater gewendet.

Er betete, wie während seines ganzen Leidens, stets in Psalmenstellen, die nun an ihm in Erfüllung traten. Ich sah Engelsgestalten um ihn. Als die Dunkelheit aber zunahm und die Angst drückend auf allen Gewissen und eine dumpfe Stille über allem Volk lag, sah ich Jesus ganz einsam und trostlos hängen.

Er litt alles, was ein armer, gepeinigter, zermalmter Mensch in der größten Verlassenheit, ohne menschlichen und göttlichen Trost, leidet, wenn der Glaube, die Hoffnung, die Liebe ganz einsam, ohne Erwiderung und Genuß, ohne alles Licht, nackt ausgeleert in der Wüste der Prüfung stehen und mit unendlicher Marter allein von sich selbst leben. Er ist nicht auszusprechen, dieser Schmerz.

(…)

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Das Sterben des Herrn am Kreuz – 7/14

Die Schauungen der seligen Anna Katharina Emmerick, nach Clemens Brentano.

(…) – Zustand der Stadt und des Tempels während der Finsternis

Es war nun ungefähr 1/2 2 Uhr, und ich wurde in die Stadt geführt, zu sehen, wie es dort hergehe. Ich fand eine allgemeine Angst und Bestürzung. Nebel und Nacht lag in de n Straßen, die Menschen tappten verirrt umher, viele lagen in Winkeln mit verhülltem Haupt und schlugen an die Brust, viele schauten nach dem Himmel und standen auf den Dächern und wehklagten.

Die Tiere brüllten und verbargen sich, die Vögel flogen niedrig und fielen nieder. Ich sah, daß Pilatus den Herodes besucht hatte und daß sie in großer Bestürzung nach dem Himmel schauten, auf derselben Terrasse, von welcher Herodes am Morgen die Verspottung Jesu mitangesehen hatte. Dies sei nicht natürlich, sagten sie, Jesus sei gewiß zuviel geschehen. Ich sah hierauf Herodes mit Pilatus nach dessen Palast über das Forum gehen. Sie waren beide sehr geängstigt und gingen mit starken Schritten, von Wachen umgeben. Pilatus schaute nicht nach dem Richterstuhl Gabbatha hin, wo er Jesus verurteilt hatte.

Das Forum war öde, die Leute eilten hie und da in die Häuser, andere liefen wehklagend umher.

Es sammelten sich auch einige Haufen auf den öffentlichen Plätzen. Pilatus in seinem Palast ließ die Ältesten aus den Juden berufen und fragte sie, was ihnen diese Finsternis bedeute, er halte sie für ein drohendes Zeichen, ihr Gott scheine über sie zu zürnen, daß sie den Galiläer mit Gewalt zum Tode begehrt, der gewiß ihr Prophet und König gewesen sei, er habe seine Hände gewaschen usw. Sie aber blieben hartnäckig, legten alles als eine gewöhnliche Naturerscheinung aus und bekehrten sich nicht. Jedoch hie und da bekehrten sich viele Leute, und zwar auch alle jene Soldaten, die gestern bei der Gefangennehmung Jesu am Ölberg gefallen und wieder aufgestanden waren.

Es sammelte sich unterdessen viel Volk vor dem Schloß des Pilatus, und wo sie morgens geschrien:
«Kreuzige ihn, hinweg mit ihm!»,
schrien sie jetzt:
«Ungerechter Richter! Sein Blut komme auf seine Mörder!»

Pilatus mußte sich mit Soldaten umgeben, und jener Zadoch, der am Morgen, als Jesus ins Richthaus ging, seine Unschuld laut ausgerufen, schrie und lärmte dermaßen vor dem Palast, daß Pilatus ihn beinahe festnehmen ließ.

Pilatus, der elende Mensch ohne Seele, machte den Juden die größten Vorwürfe: er habe keinen Teil daran, es sei ihr König, ihr Prophet, ihr Heiliger gewesen, den sie zum Tode gebracht, und nicht der seine, ihn gehe er nichts an, sie hätten seinen Tod gewollt.

Im Tempel herrschte Angst und Schrecken im höchsten Grade. Sie waren im Schlachten des Osterlammes begriffen, als plötzlich die Nacht einfiel, alles war verwirrt, und hie und da brach bange Wehklage aus. Die Hohenpriester taten alles, um die Ruhe und Ordnung zu erhalten; man steckte alle Lampen beim hellen Tage an, aber die Verwirrung ward nur noch größer. Ich sah Annas in peinliche Angst geraten, er lief aus einem Winkel in den andern, um sich zu verbergen. Als ich wieder zur Stadt hinausging, bebten die Schirme und Gitter vor den Fenstern der Häuser, und es war doch kein Sturm.

Die Dunkelheit ward immer größer. Ich sah auch im äußeren Teil der Stadt an der West/Nordgegend, gegen die Stadtmauer zu, wo viele Gärten und Gräber sind, einzelne Grabeingänge einsinken, als wanke der Boden.

(…)

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Das Sterben des Herrn am Kreuz – 6/14

Die Schauungen der seligen Anna Katharina Emmerick, nach Clemens Brentano.

(…) – Verfinsterung der Sonne
Zweites und drittes Wort am Kreuz

Bis gegen 10 Uhr, da das Urteil durch Pilatus gesprochen ward, waren abwechselnd einzelne Hagelschauer gefallen, dann trat bis 12 Uhr heller Himmel und Sonnenschein ein, und nun kam ein trüber, roter Nebel vor die Sonne. Um die sechste Stunde aber nach der Sonne, wie ich sah, um halb eins etwa, denn die jüdische Zeit zählte anders und weicht ab von der Sonne, da entstand eine ganz wunderbare Verfinsterung der Sonne.

Es wurde mir der Hergang sehr ausführlich gezeigt, aber leider konnte ich es nicht behalten und habe keine Ausdrücke, es wieder zu sagen. Ich war anfangs wie außer der Erde, als ich es ankommen sah; ich sah allerlei Himmelsringe und Sternbahnen wunderbar durcheinander kreisend. Ich sah den Mond an einer anderen Seite der Erde und sah ihn einen schnellen Lauf oder Sprung tun, wie eine schwebende Feuerkugel; dann war ich wieder in Jerusalem und sah den Mond über dem Ölberg hervorschießen, voll und bleich, die Sonne war umnebelt, und er zog sehr schnell von der Morgenseite vor die Sonne heran. Anfangs sah ich an der Ostseite der Sonne wie eine dunkle Bank, diese wurde wie ein Berg und bedeckte sie bald ganz, der Kern des Bildes erschien fahl, ein roter Schein wie ein glühender Ring war umher, der Himmel wurde ganz dunkel, die Sterne traten rotschimmernd hervor.

Es kam ein ungemeines Erschrecken über Menschen und Tiere, das Vieh brüllte und lief von dannen, die Vögel suchten sich Schlupfwinkel und fielen scharenweise auf die Hügel um den Kalvarienberg nieder, man konnte sie mit Händen greifen.

Die Spötter begannen zu schweigen, die Pharisäer versuchten noch, alles natürlich zu erklären, es gelang ihnen aber schlecht, und auch sie wurden von einer inneren Angst befallen. Alle Menschen schauten zum Himmel empor. Viele schlugen an die Brust und rangen die Hände und schrien:
«Sein Blut komme auf seine Mörder!»

Manche in der Ferne und Nähe warfen sich auf die Knie und baten Jesus um Verzeihung, und Jesus wendete in seinen Schmerzen die Augen zu ihnen.

Während die Finsternis immer zunahm und alles zum Himmel schaute und das Kreuz, außer von Jesu Mutter und nächsten Freunden, verlassen stand, richtete Dismas, der in tiefer Reue versunken gewesen war, in demütiger Hoffnung sein Haupt auf zu Jesus und sprach:
«Herr! Lasse mich an einen Ort kommen, wo du mich erlösen magst, gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst!»
Da sprach Jesus zu ihm:
«Wahrlich, ich sage dir, heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein.»

Die Mutter Jesu, Magdalena, Maria Cleophä, Maria Magdalena und Johannes standen aber zwischen den Kreuzen der Schacher um Jesu Kreuz und schauten den Herrn an, und die Heilige Jungfrau, ganz von Mutterliebe überwältigt, flehte innerlich sehr inbrünstig, Jesus möge sie doch mit ihm sterben lassen. Da blickte der Herr seine liebe Mutter gar ernst und mitleidig an und wendete seine Augen zu Johannes und sagte zu ihr:
«Frau, sieh, das ist dein Sohn; er wird noch mehr dein Sohn sein, als wenn du ihn geboren hättest.»
Er lobte auch noch Johannes und sagte:
«Er ist immer arglos glaubend gewesen und hat sich nicht geärgert, außer damals, da seine Mutter ihn wollte erhöht haben.»

Zu Johannes aber sagte er:
«Sieh! Das ist deine Mutter!»,
und Johannes umarmte die Mutter Jesu, die nun auch seine Mutter geworden war, ehrerbietig wie
ein frommer Sohn unter dem Kreuz des sterbenden Erlösers. Die Heilige Jungfrau aber war nach diesem feierlichen Vermächtnis ihres sterbenden Sohnes so von Schmerz und Ernst erschüttert, daß sie in den Armen der heiligen Frauen das äußere Bewußtsein verlor und, von ihnen umgeben, dem Kreuz gegenüber eine Weile auf den Erdwall niedergesetzt und sodann aus dem Kreise des Richtplatzes zu ihren Freundinnen gebracht wurde.

Ich weiß nicht, ob Jesus alle diese Worte laut mit seinen heiligen Lippen aussprach, aber ich ward sie inne, als er seine heilige Mutter dem Johannes als Mutter und diesen ihr als Sohn vor seinem Tod übergab. In solchen Betrachtungen wird vieles vernommen, was nicht geschrieben steht, und man kann nur das wenigste mit den gewöhnlichen Worten wiedererzählen.

Was dort so klar ist, daß man glaubt, es verstehe sich von selbst, das weiß man hier nicht mit Worten verständlich zu machen. So verwundert man sich dort gar nicht, daß Jesus, die Heilige Jungfrau anredend, nicht
«Mutter»
spricht, sondern
«Frau»;
denn man fühlt sie in ihrer Würde als das Weib, welches der Schlange das Haupt zertreten sollte in dieser Stunde, da durch den Opfertod des Menschensohnes, ihres Sohnes, jene Verheißung wahr geworden ist. Man wundert sich dort nicht, daß er ihr, die der Engel gegrüßt:
«Du bist voll der Gnade!»,
den Johannes zum Sohn gibt, weil man sieht, daß dessen Name ein Name der Gnade ist, denn dort sind alle das, was sie heißen, und Johannes war ein Kind Gottes geworden, und Christus lebte in ihm. Man fühlt dort, daß Jesus mit jenen Worten Maria allen zur Mutter gegeben, welche, ihn wie Johannes aufnehmend und an seinen Namen glaubend, Kinder Gottes werden und nicht aus Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Man fühlt dort, daß die Reinste, Demütigste, Gehorsamste, welche, zu dem Engel sprechend:
«Siehe die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte»,
die Mutter des ewigen fleischgewordenen Wortes geworden war, jetzt, da sie von ihrem sterbenden Sohne vernimmt, daß sie nun auch eine geistliche Mutter eines andern Sohnes sein solle, mitten in den zerreißenden Schmerzen des Abschieds wieder demütig gehorsam in ihrem Herzen gesprochen hat:
«Siehe die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte»,
und daß sie alle Kinder Gottes, alle Brüder Jesu als ihre Kinder aufnahm. Alles dieses erscheint aber dort so einfach und hier so mannigfaltig, daß es mehr durch die Gnade Gottes zu fühlen als mit Worten auszusprechen ist. Ich muß bei solchen Dingen gedenken, wie mir mein himmlischer Bräutigam einst sagte:
«In den glaubenden, hoffenden, liebenden Kindern der Kirche steht alles geschrieben.»

(…)

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Das Sterben des Herrn am Kreuz – 5/14

Die Schauungen der seligen Anna Katharina Emmerick, nach Clemens Brentano.

(…) – Verspottung und erstes Wort Jesu am Kreuz

Nach der Kreuzigung der Schacher und der Teilung der Kleider des Herrn rafften die Schergen alle ihre Geräte zusammen, schimpften und höhnten Jesus und zogen von dannen. Auch die übrigen anwesenden Pharisäer zu Pferd setzten sich in Bewegung, ritten um den Kreis vor das Angesicht Jesu, höhnten ihn mit vielen schmählichen Worten und ritten von dannen. Ebenso zogen die hundert römischen Soldaten mit ihren Führern vom Berg und aus der Gegend ab, denn es zogen fünfzig andere römische Soldaten herauf und besetzten die Posten.

Der Hauptmann dieser neuen Schar war Abenadar, ein geborener Araber, der später Ktesiphon getauft ward, und der Unteroffizier hieß Cassius, er war eine Art Beiläufer des Pilatus und erhielt später den Namen Longinus. Es ritten auch von neuem einige Älteste herauf, worunter jene wiederkehrten, die abermals vergeblich von Pilatus eine andere Inschrift für den Kreuztitel begehrt hatten. Er hatte sie gar nicht einmal vor sich gelassen. Sie waren um so erbitterter. Sie ritten um den Kreis und vertrieben die Heilige Jungfrau, welche sie ein loses Weib nannten; sie ward von Johannes zu den zurückstehenden Frauen gebracht, Magdalena und Martha hatten sie in den Armen.

Wenn sie, das Kreuz umziehend, vor das Angesicht Jesu kamen, schüttelten sie verächtlich den Kopf und sagten:
«Pfui über dich, Lügner! Wie zerbrichst du den Tempel und baust ihn wieder in drei Tagen?» –
«Andern hat er immer helfen wollen und kann sich
selbst nicht helfen!» –
«Bist du Gottes Sohn, so steige vom Kreuz herab!» –
«Ist er der König Israels, so steige er vom Kreuz nieder, so wollen wir ihm glauben.» –
«Er vertraute Gott, der helfe ihm nun.»
Auch die Soldaten spotteten und sagten: «Bist du der Judenkönig, so hilf dir nun.»

Als Jesus noch in der Ohnmacht so elend hing, sagte Gesmas, der Schacher zur Linken:
«Sein Teufel hat ihn nun verlassen.»

Ein Soldat aber steckte einen Schwamm mit Essig auf einen Stab und hielt ihn Jesus vor das Angesicht, und er schien ein wenig zu saugen; das Höhnen währte fort. Der Soldat sagte:
«Bist du der Judenkönig, so hilf dir selbst.»
Alles dieses geschah, während die frühere Schar durch den Haufen des Abenadar abgelöst wurde.

Jesus aber richtete sein Haupt etwas auf und sagte:
«Vater! Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun»,
und betete still weiter.
Da rief Gesmas:
«Bist du Christus, so hilf dir und uns!»

Das Höhnen währte fort, aber Dismas, der rechte Schächer, ward tief gerührt, als Jesus für seine Feinde betete, und da Maria ihres Kindes Stimme hörte, konnte ihre Umgebung sie nicht mehr zurückhalten, sie drang in den Kreis. Johannes, Salome und Maria Cleophä folgten ihr, und der Hauptmann vertrieb sie nicht.

Dismas, der rechte Schacher, erhielt durch das Gebet Jesu einen inneren Strahl der Erleuchtung, als die Heilige Jungfrau herzutrat, und er erkannte innerlich, daß Jesus und seine Mutter ihm als Kind schon geholfen, und er erhob seine Stimme ganz mächtig und laut und sagte ungefähr folgendes:
«Wie ist es möglich, ihr lästert ihn, und er betet für euch, er hat geschwiegen und geduldet und betet für euch, und ihr lästert, er ist ein Prophet, er ist unser König, er ist Gottes Sohn!»

Über diese unerwartete Strafrede aus dem Mund des elend hängenden Mörders entstand ein Tumult unter den Spöttern, und sie suchten Steine und wollten ihn am Kreuz steinigen. Der Hauptmann Abenadar aber wehrte ab, ließ sie auseinandertreiben und stellte Ordnung und Ruhe her.

Unterdessen fühlte sich die Heilige Jungfrau ganz gestärkt durch Jesu Gebet, und Dismas sagte zu Gesmas, welcher zu Jesus hinschrie:
«Wenn du Christus bist, so helfe dir und uns!»
«Und auch du fürchtest dich nicht vor Gott und leidest doch gleiches Urteil; wir aber sind mit Recht in dieser Peinigung, denn wir empfangen den Lohn unserer Taten, dieser aber hat nichts Ungerechtes getan. Oh! Bedenke deine Stunde und wende deine Seele um»,
usw. Er war aber ganz erleuchtet und gerührt und bekannte Jesus seine Schuld, sprechend:
«Herr, wenn du mich verdammst, so geschieht mir recht, aber erbarme dich meiner.»
Und Jesus sagte zu ihm:
«Du sollst meine Barmherzigkeit erfahren.»

Dismas erhielt nun die Gnade einer tiefen Reue, eine Viertelstunde lang. Das zuletzt Erzählte geschah meistens alles zugleich und dicht hintereinander von 12 bis 1/2 1 Uhr nach der Sonne, ein paar Minuten gleich nach der Kreuzaufrichtung; aber es wendete sich schnell alles anders in der Seele der meisten Zuschauer, denn noch unter den Reden des reumütigen Schächers geschah ein großes Zeichen in der Natur und erfüllte alle mit Angst.

(…)

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