(Ausschnitte aus Prof. Dr. Andreas Wollbold –
Die klassische römische Liturgie
und die Zukunft der Kirche)
Was ist zu tun?
Wer die Entwicklung der klassischen römischen Liturgie nach dem Motuproprio „Summorum pontificum“ verfolgt hat, wird die letzten dreieinhalb Jahre in zwei deutlich unterschiedene Phasen einteilen: zunächst eine deutliche Zunahme von Meßorten und Teilnehmerzahlen, dann aber auch eine gewisse Stagnation auf etwas höherem, aber immer noch recht bescheidenem Niveau.
Dazu kommt, daß die Probleme fast überall die gleichen geblieben sind wie zuvor. Die Akzeptanz, allein auch nur das Verständnis für die alte Liturgie ist nicht wirklich gewachsen. Nun sind die Freunde der alten Liturgie gewohnt, „dicke Bretter zu bohren“ (Max Weber). Was ist also zu tun? An sieben Stellen könnte der Bohrer angesetzt werden.
1. Heiliger Eifer
Wenn es noch eines Indizes bedurfte, so haben die vergangenen Monate bloßgelegt, wie tief die Kirchenkrise geht. Es handelt sich letztlich um eine Glaubenskrise. Sie hat beinahe die Gesamtheit der Gläubigen, ja auch der Hirten, erfaßt.
Geradezu mit chirurgischer Präzision hat bereits vor 400 Jahren der heilige Robert Bellarmin bloßgelegt, worin sie immer ihre Ursache hat: Nicht in intellektuellen Problemen, sondern in der Vernachlässigung eines Lebens, das dem Glauben entspricht.
Dies verdichtet sich noch einmal in der Nachlässigkeit gegenüber Liturgie und Sakramenten: „Bruder, willst du den Glauben an die Sakramente nicht verlieren?
Dann ehre die Sakramente, gebrauche die Sakramente, komm‘ häufig und von ganzem Herzen zur Beichte und empfange die heiligen Geheimnisse! Willst du den Glauben an das Fasten […] nicht verlieren? Dann liebe das Fasten […]! Wenn nicht, wäre es dann verwunderlich, wenn Gott dich im Glauben Schiffbruch erleiden ließe?“
Ist es nicht so – so der gelehrte Prediger weiter -, daß unsere Taten die Worte entleeren? Wir behaupten, die Eucharistie sei die Quelle der Gnade und alles Guten, aber dabei sind die Altäre vielerorts verstaubt und voll Spinnweben, Kelchwäsche und Kelche geradezu abstoßend schmutzig, und die Priester zelebrieren so rasch, unfromm und kalt,
„daß sie allen offensichtlich zurufen, sie glauben weder an Christus noch an die Gegenwart der Engel. […]
Wenn das so ist, dann wundert euch nicht, wenn das Reich Gottes euch genommen und anderen gegeben wird, die in jüngster Zeit im Osten und im Westen und in der Neuen Welt zum Glauben gekommen sind!
Denn Gott geht so mit uns um und spricht:
Ihr verachtet die Beichte? Dann nehme ich euch das Sakrament der Buße weg!
Ihr verachtet die Eucharistie? Dann nehme ich sie euch weg!
Ihr verachtet die Priester? Dann nehme ich euch die Priester weg!
Denn ihr verhaltet euch so, als ob all das nichts wäre, und ich lasse es zu, daß dann Leute kommen, die auch ausdrücklich behaupten, dies sei nichts. Und sie werden euch zu eurem Verderben und eurem Untergang davon überzeugen! Ich will das geringe Licht, das ihr in euch habt, auch noch auslöschen und es dulden, daß die Finsternisse euch ergreifen.“
In einer solchen Krise genügt es nicht, recht zu haben. Wie bei Newman geht es nicht nur darum, welche der kirchlichen Parteien sich durchsetzt und die Macht erringt. Nein, Nachlässigkeit wird nur durch Eifer überwunden.
Eifer aber ist im Kern der Eifer in der eigenen Heiligung. Bei aller Ehrfurcht vor den heiligen Riten, ein gesetzt sind sie ganz nüchtern als „instrumenta salutis“, als Heilswerkzeuge, und darum nützen sie nur demjenigen recht, der mit ihrer Hilfe auch Fortschritte macht. Wenn also unsere Feier der traditionellen Liturgie nicht zuerst und vor allem dem Fortschritt in Glauben, Hoffnung und Liebe dient, dann fehlt ihr das Herz.
Wird der Herr der Geschichte sie uns dann nicht auch wieder wegnehmen? Martin Mosebach ist nachdrücklich zuzustimmen, wenn er sagt: „Und alles Große in der Kirchengeschichte ist entstanden wegen solcher Menschen, die sich überhaupt nicht gekümmert haben um die Zukunft der Kirche, sondern darum, Christen zu sein, jetzt.“
2. Seelsorge
Wir brauchen die Verbindung der Liturgie mit der Seelsorge. Aus Meßorten müssen Seelsorgeorte werden. Wir haben eben von der prophetischen Kraft der alten Liturgie gesprochen, davon, daß sie den Zustand des Glaubens bloßlegt. D.h. aber auch, daß die heilige Messe die vollständige Katechese voraussetzt.
Aus diesem Grund wurden im christlichen Altertum die Katechumenen vor der Opferung aus dem Kirchenraum weggeführt. Erst wenn die Vorbereitung sakramental abgeschlossen war, waren sie überhaupt fähig, am Meßopfer teilzunehmen. Man sieht das etwa an dem lateinischen Vortrag auch der Epistel und des Evangeliums. Manche meinen: „Wenigstens das könnte doch auch stets nur muttersprachlich vorgetragen werden, dann verstehen es die Gläubigen doch sofort.“ Nein, in Katechese und Seelsorge haben sie das Wort Gottes bereits gehört und gläubig in sich aufgenommen.
Das Kennenlernen haben sie bereits hinter sich. Nun gilt es, mit dem Erkannten auch zu wirken. In der heiligen Messe können sie somit mit dem eigenen Glauben unterstreichen, daß dieses Wort Gottes feierlich vorgetragen wird als Licht der Welt und als Waffe gegen die Mächte der Finsternis – darum ja die Lesung des Evangeliums in Richtung finsterer Norden, wo niemals die Sonne scheint. Die heilige Messe ist also vor- aussetzungsvoll, und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dazu ist die Seelsorge da. Ja, diese Meß-Vorbereitung und Seelenführung ist heute nicht weniger nötig, sondern eher noch viel mehr als im christlichen Altertum:
– Nur wer in Glaube und Moral vorbereitet ist, kann fruchtbar am Meßopfer teilnehmen. Wo z.B. eine klare moralische Führung insbesondere junger, am Ritus interessierter Menschen fehlt, kommt es hier und da zu geradezu spektakulären Fällen der Doppelmoral, die ein Freund mit dem Bonmot quittierte: „Die Liturgie von Trient und die Moral des Dritten Vatikanums!“ Der Verlust der engen Verbindung von Beichte und Messe darf nicht nur immer wieder lautstark beklagt werden, sondern das Bußsakrament muß an unseren Orten mehr und mehr zur Selbstverständlichkeit werden – auch unter den jüngeren Freunden der alten Liturgie!
– Die Zusammensetzung und Motivation der traditionsverbundenen Gläubigen und Priester ist recht unterschiedlich. Unter jüngeren Menschen ist ein erstaunliches Interesse zu verzeichnen, auch unter Theologiestudenten gleich welchen Berufsziels. Überdurchschnittlich stark finden sich Interessierte unter Akademikern. Dennoch sind sie alle auch auf Seelsorge, also insbesondere Verkündigung und Seelenführung, angewiesen, damit sie in und mit der Kirche ein angemessenes christliches Leben führen können. Viele von ihnen finden in ihren Pfarreien häufig nicht die Seelsorge, die sie suchen und brauchen. Nicht wenige setzen an deren Stelle eigene Netzwerke oder schaffen sich private Räume des Glaubens; das ist oft geradezu heroisch, aber es kann doch nicht den Normalfall kirchlichen Lebens darstellen.
– Überhaupt erschöpft sich kirchliches Leben nicht im Gottesdienst. Man kann nicht die Sakramente eben einmal „mitnehmen“ und dann wieder „abtauchen“. Das ist schon bei Taufe, Erstkommunion oder Firmung in vielen Pfarreien ein Unding, es ist aber nicht weniger ein Unding bei den Zuständen unserer Meßorte, wie sie dort gezwungenermaßen oft herrschen: Der Priester fliegt ein, räumt rasch das Notwendigste im Altarraum um, dann geht es los, und nach dem Ende verabschiedet man sich nur noch rasch bis zum nächsten Mal.
Leider kann bisher an nicht wenigen Meßorten keine ausreichende Seelsorge stattfinden. Die Gläubigen kommen zur heiligen Messe wie zu einem Angebot und gehen danach wieder nach Hause. Nur ein Kern schon lange verbundener Gläubiger nimmt auch z.B. an Vorträgen teil. Vielleicht werden auf Anfrage andere Sakramenten feiern wie eine Taufe vermittelt. Zudem erscheinen die verschiedenen Gruppierungen und Gemeinschaften der Freunde der alten Liturgie recht versprengt; gemeinsames, effizienzorientiertes Handeln ist die Ausnahme. […]