Über die Kirche

Die Übereinstimmungen der vergangenen mit den gegenwärtigen Phänomenen ist evident. Große Teile der gegenwärtigen Kirche sind arianisch, ikonoklastisch, protestantisierend, antisakramental, säkularisiert. Aber im Unterschied zur Vergangenheit fehlt das gläubige Volk, das immer wieder die Rückkehr zur Tradition erzwungen hat. Das ist für Westeuropa jedenfalls aber sehr gut erklärlich. Nach 50 Jahren Fehlen eines rechtgläubigen Religionsunterrichts ist die katholische Religion gerade auch unter ihren verbliebenen Anhängern unbekannt geworden. Viele der vergangenen theologischen Katastrophen haben die „kleinen Leute“, die eigentliche Herde Christi nie erreicht. Sie fuhren fort, katholisch zu sein, gleichgültig welchen Häresien die Führungsschichten anhingen.

Heute hat sich die Kirche mit den übermächtigen ökonomischen und politischen Kräften, die antireligiös sind, auf das innigste amalgamiert. Sie setzt darauf, den demagogischen Forderungen von Mächten zu genügen, die mit Kirche überhaupt nichts im Sinne haben, aber ohne Zweifel eine Mehrheit gewonnen haben. Es ist ja wahr: die Tradition der Kirche ist wirklich „unzeitgemäß“, so unzeitgemäß wie sie es zur Zeit des Apostels Paulus war. Dieser Gedanke löst in ihren heutigen Repräsentanten Panik aus, anstatt als große Aufgabe verstanden zu werden. Sich den totalitären Tendenzen der Zeit entschlossen zu verweigern, könnte sogar eine politische Chance enthalten. Aber gegenwärtig ist das noch gar nicht verstanden.

Martin Mosebach, UVK August 2022

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