Erlöste und Verdammte – Ein sachlicher Beitrag zur sog. Reformation

Eine Buchbesprechung

Erlöste und Verdammte

Der an der Georg-August-Universität Göttingen lehrende protestantische Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann hat 2016 bei C.H. Beck ein sehr wichtiges und lesenswertes Werk zur Geschichte der Reformation vorgelegt, das inzwischen in vierter Auflage vorliegt. Auch katholische Leser können eine Menge von diesem Buch lernen. Insgesamt umfaßt „Erlöste und Verdammte. Eine Geschichte der Reformation“ mehr als 500 Seiten. Verweise haben nicht als Fuß-, sondern als Endnoten Aufnahme gefunden. Zahlreiche farbige Abbildungen illustrieren die Reformationsgeschichte zusätzlich.

Die ersten drei Kapitel, die selbst wiederum in kleinere Einheiten gegliedert sind, beschäftigen sich unmittelbar mit Martin Luther und der Situation in Deutschland vor und in den ersten Jahren nach dem berühmten „Thesenanschlag“ von Wittenberg. Auch besondere geschichtliche Entwicklungen, welche letztlich die Verbreitung der Reformation zumindest begünstigt, wenn nicht gar ermöglicht haben, werden kurz präsentiert. Dazu zählt natürlich der Buchdruck, aber auch der humanistische Aufbruch, der beispielsweise in der Rückkehr zu den Quellen in der Forschung Ausdruck fand.

Es dauerte nicht lange, bis nach dem „Thesenanschlag“ vom 31. Oktober 1517 auf katholischer Seite intellektueller Widerstand geleistet wurde. Während Luther seine Theologie noch „entwickelte“, wurde von katholischen Theologen bereits erkannt, wohin die lutherischen Positionen letztlich führen würden: „Wohl deutlicher, als es Luther zu diesem Zeitpunkt bewusst war, erkannte der brillante Theologe Cajetan, dass das Insistieren auf der persönlichen Heilsgewissheit das heilsanstaltliche Gefüge der Papstkirche erschüttern musste. Luthers Infragestellung der päpstlichen Verfügungsgewalt über den Schatz der Kirche […] wurde von Cajetan als fundamentaler Angriff auf die Autorität des Stellvertreters Christi identifiziert. Auch hier sah der Kardinal die Konsequenzen der Luther’schen Ablasskritik bereits deutlicher als dieser selbst, der sich noch in Übereinstimmung mit einem orthodoxen Hauptstrang der kirchlichen Lehrentwicklung wähnte.

Im vierten Kapitel blickt Thomas Kaufmann über den deutschen Horizont hinaus nach Europa und erweitert den Zeitraum seiner Analyse bis 1600. Einen großen Raum nimmt hier naturgemäß der lange Zeit in Genf tätige Reformator Johannes Calvin ein, der neben Luther die andere Hauptströmung des Protestantismus begründete. Im Blick auf Europa geht es auch kurz um die katholische Reform, die sich besonders im Konzil von Trient manifestierte, aber auch in der Gründung einiger neuer Gemeinschaften, die sich die Stärkung des katholischen Glaubens auf die Fahne geschrieben hatten. Die prominenteste dieser Gemeinschaften ist zweifellos die Gesellschaft Jesu, besser bekannt als Jesuiten.

Das fünfte und das sechste Kapitel sind für den an der Reformation interessierten Laien weniger interessant als die vorangehenden Seiten, sind jedoch für Historiker sicherlich von Relevanz. In diesen Kapiteln geht es in komprimierter Form um die Bedeutung der Reformation für die Moderne, wozu auch ein Blick darauf gehört, wie die Reformationsjubiläen in Deutschland begangen wurden.

In diesem Zusammenhang ist eine Beobachtung von Thomas Kaufmann allerdings auch an dieser Stelle erwähnenswert: „Entgegen dem, was die Reformatoren beabsichtigten und selbst praktizierten, hat das Schriftprinzip einer Relativierung exegetisch begründeter religiöser Wahrheitsansprüche den Weg gebahnt; dies kann Indifferenz oder Toleranz befördern, Zweifel oder Weitherzigkeit evozieren.

Und weiter: „Natürlich haben die Reformatoren, denen es um eine Vertiefung und Erneuerung des Christentums ging, solche Entwicklungen zu Distanz oder gar Abkehr keineswegs gewollt. Nicht also die Reformation als solche, wohl aber die mit der Reformation eingetretene Pluralisierung des lateineuropäischen Christentums und die konfessionelle Konkurrenz haben säkularistischen, laizistischen und atheistischen Tendenzen Vorschub geleistet. Das heutige religionskulturelle Bild des lateinischen Europa, dessen Säkularität sich im globalen Vergleich als Sonderfall darstellt, ist auch das Ergebnis der durch die Reformation in Gang gesetzten Langzeitentwicklungen auf diesem Kontinent.“ Leider beläßt der Autor es bei diesem Fazit. Es wäre schön gewesen, wenn diese Entwicklungslinien zumindest auf einigen wenigen Seiten nachgezeichnet worden wären.

Thomas Kaufmann hat eine grandiose und lebendige Reformationsgeschichte geschrieben. Er schreibt nicht als Protestant, sondern als Historiker, der sich vornehm zurückhält und neutral, auf den Fakten basierend, darstellt. Seine persönliche Sicht der Dinge ist höchstens in ein paar Sätzen zu erahnen. Die katholische Kirche wird fair und realistisch porträtiert, mit allen Schattenseiten, aber auch mit dem stets gegenwärtigen Licht.

Erstveröffentlicht bei KIRCHLICHE UMSCHAU (Oktober 2017)

Thomas Kaufmann
Erlöste und Verdammte
Eine Geschichte der Reformation
München (C.H.Beck) 2016
508 Seiten; € 26,95
ISBN 978-3-406-69607-7

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